Pretoria. . Ab Montag muss sich Oscar Pistorius für seine tödlichen Schüsse auf seine Freundin Reeva Steenkamp vor einem Gericht im südafrikanischen Pretoria verantworten. Der Prozess könnte mit mehr als 300 Journalisten aus aller Welt zu einem Medienereignis der Sonderklasse werden.

Das „Verfahren des Jahrhunderts“ nennen südafrikanische Zeitungen diesen Prozess. Wenn am Montag der beinlose „Blade Runner“ Oscar Pistorius den Saal des Landgerichts in Pretoria betritt, in dem er sich für die drei tödlichen Schüsse auf seine Freundin Reeva Steenkamp verantworten muss, dann werden sich mehr als 300 Journalisten aus aller Welt um Sitze rangeln. Mehrere TV-Sender wollen das dreiwöchige Verfahren live übertragen.

Thokozile Matilda Masipa, eine der wenigen dunkelhäutigen Richterinnen des Landes, wird ihr Urteil auf Indizien stützen müssen. Denn nichts deutet darauf hin, dass Oscar Pistorius von seiner Darstellung abweichen wird, bei dem Tod der 29-jährigen Reeva am frühen Morgen des Valentinstages 2013 habe es sich um ein tragisches Unglück gehandelt. Er will sie für einen Einbrecher gehalten haben.

Die Frage, ob das erst seit drei Monaten liierte Paar eine „liebevolle und harmonische“ Nacht verbrachte, wie Pistorius vor Gericht erklärte, oder ob zwischen den beiden ein heftiger Streit ausbrach, wie Zeugen gehört haben wollen, wird das Verfahren beherrschen – zumindest Reevas Freunde wissen schon die Antwort. „Oscar ist ein verwöhnter und ehrgeiziger junger Mann, dem die Sicherung durchgebrannt ist“, meint Mark West, der einst die ersten Aufnahmen von dem 14-jährigen Nachwuchsmodell machte: „Er hat das Bild in dem Spiegel nicht gemocht, den sie ihm entgegen hielt, und hat den Spiegel kurzerhand zerbrochen.“

Reeva galt als „unkompliziertes und natürliches Mädchen“

Reeva sei ein „Mädchen mit sehr viel Charakter“ gewesen, sagt Barbara Robertson, die sie als Mode-Redakteurin eines Lokalblattes bei Schönheitswettbewerben kennenlernte: Sie sei eines jener „unkomplizierten und natürlichen Mädchen“ gewesen, die nur Provinzstädte wie Port Elizabeth hervorzubringen wüssten. Reeva soll witzig und klug gewesen sein – sie schloss immerhin ein Jura-Studium ab.

Nur reich war sie nicht. Ihr Vater trainierte Rennpferde und verlor seinen Job: Als Reeva kurz vor ihrem Tod wollte, dass ihre Eltern eine Fernsehsendung mit ihr sehen konnten, musste sie ihnen Geld fürs Pay-TV-Abonnement überweisen. Durch ihren Vater lernte Reeva auch ihren ersten Freund, den Jockey Wayne Agrella, kennen: Ihre fast sechsjährige Beziehung bezeichnete sie später als „emotionelle Misshandlung“. Auf die Frage, was das Dümmste gewesen wäre, was ein Mann jemals zu ihr sagte, antwortete Reeva: „Ohne mich bist Du nichts.“

Als sie nach einem Sturz vom Pferd und zwei zerquetschten Wirbeln wochenlang nicht wusste, ob sie jemals wieder laufen können würde, fasste Reeva den Entschluss, den Freund und die provinzielle Heimat zu verlassen und im Moloch Johannesburg das Glück als Profi-Modell zu finden. Barbara Robertson erinnert sich, wie sie ihr ironisch zuzwinkerte: „Ein Mädchen muss tun, was ein Mädchen tun muss.“

Freunde bemerkten seine besitzergreifende Seite

Dann, am 4. November 2012, die schicksalhafte Begegnung. Bei einem PR-Termin für Sportkarossen wird Reeva dem Autonarr Oscar Pistorius vorgestellt: Sie seien „auf der Stelle aufeinander abgefahren“, sagt Gastgeber Justin Divaris. „We hit it off“ (wir haben Feuer gefangen), raunte Pistorius ihm zu. Außer seinem guten Aussehen und dem Ruhm habe Reeva gewiss auch die „Verwundbarkeit“ des behinderten Sportlers attraktiv gefunden, meint Robertson.

Doch davon ist zunächst nach außen wenig zu spüren. Von den Olympischen Spielen sei Oscar „total verändert“ nach Hause gekommen, berichtet ein früherer Freund: „Er fühlte sich unbezwingbar und meinte, dass ihm die Welt zu Füßen liege.“ Schon bald bemerkt Cecil Myers – Reevas Johannesburger Ersatz-Vater – auch die „besitzergreifende“ Seite Oscars: „Wenn Du diese Frau haben willst, dann musst Du ihr mehr Raum lassen“, habe er ihm zu verstehen gegeben.

Auf ihre Frage, ob sie mit Oscar glücklich sei, habe sie zwei Wochen vor ihrem Tod nur zögerlich „ja“ gesagt, erinnert sich Reevas Cousine Kim Martin. „Lass’ uns später mal darüber reden.“ Dazu gekommen ist es nie.