Essen. Akupunktur gilt für Chinesen quasi als Allheilmittel – und findet auch in Deutschland immer mehr Anhänger, die sich lieber mit Nadeln pieksen lassen, statt Medikamente zu nehmen. Was Patienten zur alternativen Behandlungsmethode wissen sollten.

Aus den Worten acus (= lateinisch für Nadel) und punctio (= das Stechen) setzt sich Akupunktur zusammen. In der Traditionellen Chinesischen Medizin wird diese Therapie gegen verschiedenste Krankheiten eingesetzt und stößt hierzulande auf Interesse, weil es kaum Nebenwirkungen gibt. Viele Studien belegen die Wirksamkeit – vor allem die GERAC-Studien (German Acupuncture Trials), an denen auch die Düsseldorfer Schmerztherapeutin Dr. Linda Tan mitgewirkt hat. Sie behandelt ihre Patienten regelmäßig mit Nadeln – ebenso wie Dr. Madelon Gellenbeck, die sich während ihres Medizinstudiums unter anderem in China, Japan, Indien und Indonesien in Akupunkturtechniken ausbilden ließ.

Bei welchen Krankheiten kann eine Akupunktur hilfreich sein?

„Akupunktur ist eine ganzheitsmedizinische Behandlungsmethode, bei der alle Krankheiten gleichzeitig behandelt werden“, sagt Expertin Dr. Madelon Gellenbeck. Die Chinesen gehen davon aus, dass ein Ungleichgewicht im Körper zu Erkrankungen führt. Durch Akupunktur soll das Gleichgewicht wieder hergestellt werden. Dr. Linda Tan ergänzt: „Die deutschen Studien zeigen, dass sich vor allem bei chronischen Lendenwirbelbeschwerden und Kniegelenkschmerzen die Beschwerden bessern.“ Auch bei Migräne und Spannungskopfschmerz sei die Wirkung gleich gut wie bei der Einnahme von Beta-Blockern gewesen – allerdings auch bei einer Scheinakupunktur, bei der die traditionellen Akupunkturpunkte nicht beachtet wurden. Dr. Tan: „Das zeigt die positive Einstellung der Patienten, die in jedem Fall zu einer Linderung der Beschwerden durch Akupunktur führt.“

Was muss ich mir unter „Akupunkturpunkten“ vorstellen?

Dahinter verbergen sich anatomische Strukturen beim Menschen, „an diesen Stellen kann der Energiefluss beeinflusst werden“, sagt Dr. Gellenbeck. „Man kann das mit einem Straßensystem vergleichen, das aus Haupt- und Nebenstraßen besteht. Ist eine Hauptstraße blockiert, wird der Verkehr über Nebenstraßen umgeleitet, um einen Stau zu vermeiden. So ähnlich funktioniert es mit Akupunkturpunkten. Setze ich Nadeln hinein, wird die Energie umgeleitet und anders verteilt.“ Dr. Linda Tan: „Die Stimulation durch die Haut wirkt sich auf die Organe aus, weil biochemische Botenstoffe ausgeschüttet werden.“

Wie läuft eine Sitzung ab?

Zunächst muss festgestellt werden, welche Störung es im Körper gibt. Das geschieht unter anderem durch eine Pulsdiagnose, denn der Puls am Handgelenk verändert sich, wenn ein krankhaft veränderter Akupunkturpunkt bei einer Tastuntersuchung berührt wird. „Dann zieht sich der Patient bis auf die Unterwäsche aus und ich setze Nadeln von unterschiedlicher Dicke von Kopf bis Fuß an lokale Punkte, die zum jeweiligen Symptom passen“, erklärt Dr. Linda Tan. 20 Minuten bleiben die Nadeln im Körper, bevor sie wieder herausgezogen werden.

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Schmerzt es nicht, wenn die Nadeln gesetzt werden?

Die Nadeln sind so fein, dass man höchstens einen winzigen Pieks merkt, wenn sie gesetzt werden, „sobald sie in den Akupunkturpunkten sind, spürt man sie nicht mehr“, erklärt Dr. Madelon Gellenbeck. „Sollte ein Nerv gereizt werden, kann ich das korrigieren“, sagt Dr. Linda Tan.

Auf welche Weise spüre ich als Patient die Wirkung?

„Eine entspannende Wirkung sofort zu spüren, außerdem ein Wärmegefühl rund um die Nadel“, meint Dr. Tan und Dr. Gellenbeck schildert: „Viele Schmerzpatienten merken, wie die Pein verschwindet, wenn ich die Nadeln setze.“ Bei anderen Erkrankungen müsse man innerhalb von zehn Sitzungen eine deutliche Veränderung verspüren – etwa, dass die Beschwerden seltener auftreten oder nicht so intensiv sind.

Gibt es Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten?

Die Expertinnen sind sich einig: Es kann schon einmal einen kleinen blauen Fleck auf der Haut geben, wenn ein Blutgefäß getroffen werde – das sei allerdings harmlos. Dr. Tan hat gelegentlich bei einigen Patienten, die etwa unter Migräne leiden, eine Verschlimmerung der Symptome innerhalb von 24 Stunden beobachtet. „Anschließend wird es dann besser“, sagt die Schmerztherapeutin. Kreislaufreaktionen oder Muskelkater (durch die Reizung der Muskelstränge) sind ebenfalls kurzzeitig möglich.

Kann Akupunktur wirklich heilen?

„Es ist eine Heilbehandlung, die den Körper wieder ins Gleichgewicht zurück bringt – damit verschwinden die Krankheiten“, davon ist Dr. Madelon Gellenbeck überzeugt. Dr. Tan schränkt aus ihrer Sicht ein: „Wer unter Gelenkverschleiß leidet, dem wächst durch Akupunktur kein neuer Knorpel. Aber man wird beweglicher, hat weniger Schmerzen und kann beispielsweise wieder Treppen steigen.“

Was kostet die Behandlung und welchen Anteil der Kosten übernehmen die Krankenkassen?

Die Kosten sind je nach Behandler unterschiedlich – wird privatärztlich abgerechnet, spricht Dr. Linda Tan von einem Satz von 46,40 Euro, während Dr. Madelon Gellenbeck sagt: „Eine Behandlung kostet zwischen 70 und 100 Euro, weil ich eine Kombination aus Ohr- und Körperakupunktur mache.“ Die privaten Kassen übernehmen die Kosten, wenn Schmerzen therapiert werden – bei manchen Ärzten bezahlen auch die gesetzlichen Kassen einen Teil der Behandlung von Rücken- oder Kniegelenkschmerzen. Ist das Problem nach zehn Sitzungen allerdings noch nicht gelöst, muss man selbst in die Tasche greifen.