München. . TV-Produzent Michael Souvignier („Contergan“) hat einen guten Riecher für aufwühlende Stoffe. Die Hetzkampagne gegen einen letztlich unschuldigen Mordverdächtigen in Emden gehört dazu. Daraus wurde der brillante Sat.1-Film „Nichts mehr wie vorher“. Stark: Annette Frier, Götz Schubert und vor allem Jonas Nay.

Der Satz kam beiläufig, freundlich klang er auch. Doch was Katharina Behrends, die Chefin des Bezahlsenders Universal Channel beschrieb, war nichts anders als eine düstere Prophezeiung: Dem frei empfangbaren Fernsehen – so meint sie – droht Verflachung. Was sie nicht sagte: Der Prozess ist bereits in vollem Gang. Er betrifft vor allem das Privatfernsehen. Es hat sich nämlich weitgehend aus der Produktion eigener Spielfilme zurückgezogen. Bis auf Sat.1. Der Münchner Sender stemmt sich dem Trend entgegen. Dienstags bietet er zumeist passable Romantik-Komödien. Zuweilen findet sich aber auch eine TV-Juwele darunter. „Nichts mehr wie vorher“ (20.15 Uhr) gehört unbedingt dazu. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Einer davon heißt Michael Souvignier. Der Kölner Produzent gehört, wie sein Berliner Pendant Nico Hofmann, zu den wenigen Fernsehmachern, die einen feinen Blick für aufwühlende zeitgeschichtliche Ereignisse haben, die sich so dramatisieren lassen, dass sie eine öffentliche Diskussion fördern.

Aufarbeitung des Mordfalls Lena

Bei „Nichts mehr wie vorher“ geht es um die Aufarbeitung des Mordfalls Lena aus dem vorigen Jahr. Der Mädchenmord in Emden hatte in der norddeutschen Stadt eine öffentliche Treibjagd auf einen verdächtigen jungen Mann ausgelöst, die durch soziale Netzwerke wie Facebook befeuert wurde. Der Verdächtige erwies sich letztlich als unschuldig, doch für ihn und seine Familie war – daher der Filmtitel – nichts mehr wie vorher.

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Doch wie lässt sich ein Stoff spannend erzählen, dessen Ende längst bekannt ist? Regisseur Oliver Dommenget und Drehbuch-Autorin Henriette Piper fanden den richtigen Dreh. Ihre Geschichte treibt die Frage, warum der erste Verdächtige sich fast um Kopf und Kragen geredet hätte. Denn er war tatsächlich zum Zeitpunkt des Mordes in der Nähe des Tatortes.

Einen ersten Hinweis darauf geben sie bereits im Einstieg. Einer von mehreren sauber montierten Handlungssträngen ist der Konflikt zwischen forderndem Vater (Götz Schubert) und pubertierendem Sohn (Jonas Nay). Als Basketball-Trainer pflaumt Vater Gudermann seinen Sohn an, er solle sich „nicht so tuntig“ bewegen.

Dennoch bleibt lange in der Schwebe, was den jungen Mann wirklich umtreibt. Daraus ergibt sich die nächste Frage, die den Film spannend macht: Wann öffnet sich der Jugendliche seiner Familie oder doch zumindest seinem Anwalt?

Konsequent aus Opfer-Sicht

Der Film erzählt seine Geschichte konsequent aus der Perspektive des Opfers, der Opfer. Denn die Volkswut macht keinen Unterschied zwischen dem vermeintlichen Täter und seiner Familie. Der Film arbeitet klar heraus, dass viele Menschen in der Stadt gar nicht an einer besonnenen Aufklärung des aufwühlenden Falls interessiert sind, sondern schlicht an Rache an dem vermeintlichen Täter. Der Film verdeutlicht zudem, dass mancher Zeitgenosse sich in der empörten Masse versteckt, um ungestraft zu mobben und am liebsten sogar Selbstjustiz zu verüben.

Regisseur und Drehbuch-Autorin werfen aber auch einen kritischen Blick auf die Polizei vor Ort, vor allem auf die ehrgeizige Jung-Polizistin (Bernadette Heerwagen), die sich einerseits unter öffentlichem Erfolgsdruck sieht, zugleich aber auch eine Profilierungschance wittert. Doch auch ihr Vorgesetzter (Thomas Sarbacher) wirkt bei genauerer Betrachtung gar nicht so souverän, wie er der Öffentlichkeit verkaufen will.

Obendrein hat der Film eine psychologische Ebene. Der Familien-Konflikt eskaliert, als der Vater seinem Sohn schließlich kaum verhüllt misstraut. Das Ehepaar Gudermann steht davor, sich angesichts des immensen inneren und äußeren Drucks zu zerstreiten. Dieses Szenario gibt Annette Frier als Schuberts TV-Partnerin die Möglichkeit, sich vom Image der Dauerlustigen freizuspielen. Sie nutzt ihre Chance bravourös.