Essen. Götz George ist überraschend im Alter von 77 Jahren verstorben. Vor zwei Jahren hat unser Autor den Schauspieler zu dessen 75. Geburtstag porträtiert.
Vielleicht gibt es wirklich nur eine Rolle, die Götz George nicht beherrscht. Die öffentliche. Und die Nation, die ihn als Kumpel umarmt, seit sie ihren Frieden mit dem polternden Mannsbild Horst Schimanski geschlossen hat, sie reagiert für einen Moment verstört, wenn er ihre Liebe zu ihm mit rüpelhaftem Benimm und eitler Großspurigkeit auf die Probe stellt.
Zwar buhlt kein Schauspieler im ewigen Kampf, es sich und allen zu beweisen, mit solcher Wucht um unsere Aufmerksamkeit wie Götz George, und kein Akteur hätte sie mehr verdient, wie wir längst begriffen haben. Aber er will uns nicht gehören, der Mann aus Berlin, der sich schon vor langer Zeit mit seiner Lebensgefährtin Marika Ullrich nach Sardinien verkrümelt hat, er ist scheu. Am Dienstag wird dieses menschliche Kraftwerk 75; es ist, so muss es uns schon beim Anblick seines immer noch Raum greifenden Athletenkörpers erscheinen, nur eine Kerbe im Kalender eines Alterslosen.
Karrierebeginn mit Romy Schneider
So viel quälende Erinnerung muss indes auch ein Götz-George-Fan ertragen: „Wenn der weiße Flieder blüht“ war 1953 sein erster Film, und es mag ihn trösten, dass mit dieser zuckersüßen Heimatschnulze auch die Karriere von Romy Schneider begann. Während sie einige Jahre später allerdings vor dem deutschen Sissi-Wahn nach Frankreich flüchtete und dort zur großen Schauspielerin reifte, stellt man heute überrascht fest, wie lange es dauerte, bis es George endlich erlaubt war, sein gewaltiges Potenzial auszuschöpfen, über biedere Karl-May-Filmchen mit eigenen Stunts, Gastrollen im Fernsehen und Tourneetheater hinwegzukommen. War George nicht als junger Bursche genau der blendend aussehende Kraftmeier, der in Hollywood zum Star geworden wäre?
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In Deutschland aber lief es anders. Eine Episode in Torsten Körners Biografie „Mit dem Leben gespielt“ wird gerne als einer jener Knackpunkte in Georges Entwicklung zitiert. 1972 redet er in einem Berliner Spielsalon auf Rainer Werner Fassbinder ein, der ihn für die Familienserie „Acht Stunden sind kein Tag“ haben will. George redet über Änderungswünsche am Drehbuch, der bedeutendste deutsche Filmemacher seiner Zeit flippert und flippert und flippert. Und schweigt. „Wenn Sie mir nicht antworten, drehen Sie Ihren Scheiß doch alleine“, flucht George und lässt Fassbinder stehen. „Ich hab’ mich nicht verbiegen lassen“, sagt George später. Und vielleicht wird genau deshalb dieser nuschelnde Schimanski am Duisburger Tatort so gern als sein Ebenbild empfunden: ein geradliniger Prolet, der immer er selbst bleibt und George in den 80er-Jahren zum größten Fernsehstar in Deutschland macht.
Götz George lässt sich nicht auf einen Typ festlegen
George gibt sich gelassen freundlich in diesen Jahren, wenn die Leute „Schimi“ über die Straße rufen. Aber mit Kraft und Ehrgeiz gelingt es ihm, sich nicht auf diesen Typ festlegen zu lassen, sich zu befreien vom Schmuddelparka und die Deutschen das Staunen zu lehren, bevor er es sich auf Bitten und Betteln leistet, hier und da doch noch mal in die alte Rolle zu schlüpfen.
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Mit darstellerischem Perfektionismus und unerhörter Vielfalt in der Rollenwahl gewinnt er in der 90ern endlich die Statur, mit der er aus dem kolossalen Schatten seines Übervaters Heinrich heraustritt, bis er sich sogar traut, den Alten, den Film- und Theaterriesen, der ihn einst mit der Reitpeitsche züchtigte, selbst zu spielen. „War ich so gut wie Heinrich?“, soll Götz seine Mutter, die Schauspielerin Berta Drews, schon nach seinem ersten Bühnenauftritt mit 13 gefragt haben. Heute müsste sie es bejahen.
Jeder Film erscheint als eine Prüfung
George bricht sein Image mit Macht und Lust auf und erobert das Publikum im Land wie kein zweiter. Er begeistert in Helmut Dietls bissigen Komödien „Schtonk“ und „Rossini“, er erschreckt mit leisen Tönen als Jungenmörder Fritz Haarmann in „Der Totmacher“, als KZ-Arzt Josef Mengele in „Nichts als die Wahrheit“, als Alzheimer-Erkrankter im Fernsehdrama „Mein Vater“ oder, in seinem womöglich bewegendsten Auftritt überhaupt, als todkranker Staatsanwalt, der sich an einem ungelösten Fall abarbeitet, in „Nacht ohne Morgen“.
Jeder Film erscheint als eine Prüfung, es noch besser machen zu wollen und zu können, die Herausforderung immer zu vergrößern, sich zu befreien vom Zorn darüber, dass man seine Fähigkeiten so lange ignorieren konnte. Götz George gibt alles, das ist sein Anspruch, er nimmt, wie die „Zeit“ mal schrieb, „stets den großen Kino-Anlauf, selbst wenn nur eine kleine Sperrholztür aufzubrechen ist“. So wird es bleiben. Nicht so schlimm, dass Fassbinder weitergeflippert hat.