London. . Offiziell heißt sie „London Underground“, aber jeder nennt sie „Tube“: Die Londoner Untergrundbahn ist eine Legende – nun wird die „Tube“ 150 Jahre alt. Sie umfasst 400 Kilometer, 270 Stationen und elf U-Bahnlinien. Hommage an eine unterirdische Leistung.
Sie ist legendär, sie ist unersetzlich und sie kann einen zur Weißglut treiben, besonders in der „Rush Hour“: die Londoner U-Bahn. Jetzt wird sie 150 Jahre alt. Sie mag damit die älteste Untergrundbahn der Welt sein – und wenn sie sich kreischend in die Kurven legt, hört man das auch – , aber aus dem Londoner Leben ist sie gar nicht wegzudenken.
Offiziell heißt sie „London Underground“, aber jeder nennt sie „Tube“: Röhre. Am 10. Januar 1863 wurde sie eröffnet, der erste Zug fuhr von Paddington nach Farringdon. Die Tube war das geistige Kind von Charles Pearson, einem Anwalt und Sozialreformer der Viktorianischen Zeit. Pearson wollte mit den unhygienischen Slums in London aufräumen und sie mit neuen Siedlungen in den Vorstädten ersetzen. Die U-Bahn sollte den Massentransport in die Stadt bereitstellen, die schon damals an Verkehrsverstopfung litt.
Bis heute hat sich an dieser Raison d’etre der Tube nichts geändert. London saugt jeden Morgen aus den umliegenden „home counties“ zwei Millionen Pendler ein und speit sie abends wieder aus. Zusätzlich zu den rund sieben Millionen Einwohnern ist das eine Menge Mensch: Die Massen strömen durch die Stadt, an ein Verweilen ist nicht zu denken, alles denkt nur: vorwärts, vorwärts!
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Kein Zweifel: Der Verkehr ist sicherlich eine der hässlicheren Seiten von London. Und wer sich der U-Bahn anvertrauen will, hat schon sein erstes London-Abenteuer gebucht. Über vermüllte Treppenstufen muss man in ein dunkles Loch hinabsteigen, sich vor den Ticket-Sperren aufreihen, die Rolltreppe weiter hinunter nehmen, durch enge, verwinkelte Gänge hetzen, eine schwere und schimmelige Schwüle -- wohl der Nähe zur Hölle wegen -- aushalten, sich in die überfüllten Waggons quetschen und wenn man aussteigt, darf man die ganze Prozedur in umgekehrter Reihenfolge wiederholen.
Besonders unangenehm kann es im Sommer werden, denn die altehrwürdige Tube hat keine Klimaanlage. Oft können dann die Temperaturen in der U-Bahn das Limit übersteigen, das die EU für Viehtransporte gesetzt hat – 27 Grad Celsius. Doch für Menschen gilt das nicht, die müssen die tierquälerischen Konditionen erdulden. Zum Trost hält der U-Bahn-Betreiber „Transport for London“ gute Ratschläge parat: Wasser mitnehmen, zum Beispiel. Oder: Wenn man sich unwohl fühlt, soll man gar nicht erst einsteigen. Auf sowas muss man erst mal kommen.
Bei einem Streik steht die Stadt still
Doch an der Tube geht nichts vorbei. Sie ist mit einem Streckennetz von über 400 Kilometern, 270 Stationen und elf U-Bahnlinien das wichtigste öffentliche Nahverkehrsmittel. Wie unersetzlich sie ist, zeigt sich, wenn die U-Bahn-Fahrer in Streik treten, was sie gerne tun. Denn dann geht in London gar nichts mehr, und für die rund 3,7 Millionen Fahrgäste, die die Tube wochentäglich in Anspruch nehmen, ist ein Tag der Misere angesagt. Bei einem Streik sind Busse keine Alternative, und Autos bleiben in kilometerlangen Schlangen stecken: Eine Stadt kommt zum Stillstand.
In dieser Hinsicht ist die Tube das Herzstück Londons, und das wussten auch die Terroristen vom 7. Juli 2005. Es passierte kurz vor neun Uhr morgens, auf dem Höhepunkt der Stoßstunde, die Züge waren voll mit Pendlern. Eine Explosion erschüttert den Londoner U-Bahnhof Liverpool Street. Ein Kurzschluss im Netz, lautet die erste Erklärung. Dann wird offensichtlich, dass mehr dahinter steckt. Um wenige Minuten nach neun knallt es in der U-Bahnstation Edgeware Road, kurz darauf explodiert eine weitere Bombe im U-Bahntunnel zwischen Russell Square und King’s Cross. Schließlich, eine Stunde später, zerreißt der vierte Sprengsatz einen Bus nahe des Tavistock Square. Am 7. Juli 2005 brachten vier Selbstmordbomber den Terror ins Herz der britischen Hauptstadt. Die Anschlagsserie riss 52 Menschen in den Tod und verletzte weitere 700 Unschuldige.
Schlecht zu bewachen
Die U-Bahn heißt Tube, weil sie genau das ist: eine Röhre unter der Erde, in die gerade einmal die Züge hineinpassen. Die Passagiere haben keine Möglichkeit, aus den Waggons zu klettern, wenn die in den Tunnels stecken bleiben. Wer Phantasie hat und sich ausmalen kann, was den Menschen im explodierten Zug zwischen Russell Square und King’s Cross, im Inferno dreißig Meter unter dem Erdboden, widerfahren ist, der sollte vom U-Bahnfahren erst einmal genug haben. Denn solch ein Angriff auf die offene Gesellschaft könnte sich jederzeit wiederholen. Das Londoner U-Bahnsystem ist einfach zu groß. Zum Vergleich: Die drei großen Londoner Flughäfen Heathrow, Stansted und Gatwick bewältigen 140 Millionen Fahrgäste pro Jahr, das U-Bahnnetz der Kapitale aber mehr als eine Milliarde. Das lässt sich nicht wirksam beschützen.
Beobachtungskameras, Zivilfahnder, Hunde, die nach Sprengstoff schnüffeln -- all das sind Maßnahmen, die bestenfalls einen Tropfen auf dem heißen Stein darstellen. Wenn jemand, wie die vier Attentäter vom 7. Juli 2005, zum Selbstmord entschlossen ist, könnte er morgen schon wieder unschuldige Menschen mit in den Tod reißen. Doch die Londoner stecken das eiskalt weg und fahren weiter U-Bahn. Es bleibt einem wohl auch gar nichts weiter übrig, denn ohne die Tube kann die Stadt nicht funktionieren. London muss mit der Drohung leben. Und solange man eine offene Gesellschaft will, ist diese Haltung nicht die schlechteste: Weitermachen. Schließlich will man sich von Terroristen ja nicht diktieren lassen, wie man zu leben hat.