Paris. Kind oder Karriere? Diese Frage stellt sich in Frankreich nicht. Dass Frankreichs Bevölkerung Jahr für Jahr stark zunimmt, liegt vor allem an der aufwändigen Familienpolitik. Sie ermöglicht Frauen, beides spielend unter einen Hut zu bekommen. Der Staat garantiert ein umfassendes Betreuungsangebot.
Hélène Marchand ist 33 Jahre alt und eine Karrierefrau. Zusammen mit Ehemann Philippe (34), einem IT-Manager, und den beiden Kindern Louna (4) und Noah (19 Monate) lebt die Verkaufsleiterin eines Pariser Luxus-Unternehmens im Vorort Evry. Ehe sie mit der S-Bahn zu ihrem Büro nahe dem Triumphbogen aufbricht, absolviert sie jeden Morgen dieselbe Tour: Zuerst wird Nesthäkchen Noah in der Krippe abgesetzt, dann Louna in der Vorschule. Für die Kinder den interessanten und lukrativen Fulltime-Job aufzugeben, darüber hat Hélène nicht eine einzige Sekunde nachgedacht. „Ich liebe beides – die Arbeit und die Kinder“, sagt sie entspannt.
Wenn’s um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht, haben deutsche Politiker allen Grund, neidvoll auf die andere Rheinseite hinüberzublicken. Denn während Deutschland in der europäischen Geburten-Statistik weit abgeschlagen hinterherhinkt, sonnt sich Frankreich an der Spitze der „Fruchtbarkeits“-Hitparade.
2008 kamen in Frankreich über 830.000 Babys auf die Welt, so viele wie nirgendwo in Europa. Eine Französin hat im Schnitt zwei Kinder, damit wird sie nur noch von den Irinnen und Isländerinnen (je 2,2) übertroffen. Deutschland gehört mit 1,36 Kindern seit Jahrzehnten zu den Schlusslichtern.
Kein schlechtes Gewissen
Hélène Marchands Einstellung zum Kinderkriegen und -erziehen ist ziemlich pragmatisch. Während berufstätige deutsche Mütter mit mehreren Kindern durchaus scheel angesehen und als Rabenmamas gescholten werden, tut die junge Mutter aus Evry exakt das, was den meisten Französinnen ihrer Altersgruppe gefällt: 83 Prozent sind trotz erstem Kind weiter berufstätig, die Mehrzahl ganztags.
Hat Hélène Marchand ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihre Kinder den ganzen Tag lang staatlichen Erziehern anvertraut? „Nein, überhaupt nicht“, erwidert sie. „Denn ich weiß Louna und Noah dort in guten Händen.“ Untersuchungen, fügt sie hinzu, hätten schließlich nachgewiesen, dass Kinder in der Schule sogar erfolgreicher seien, wenn ihre Mütter berufstätig sind. Von der Rundum-Versorgung, die der traditionell fürsorgliche französische Staat berufstätigen Müttern zuteil werden lässt, können deutsche Frauen nur träumen.
Es ist eine Komfort-Betreuung, die an der Wiege beginnt und bis zum Abitur reicht. Auf Kleinkinder bis zwei Jahre warten die „crèches“, die Kinderkrippen, danach kommen sie in den „jardin“, den Kindergarten. Ab drei Jahren setzt die „école maternelle“, die Vorschule, die Ganztagsbetreuung fort. Auf einen kostenlosen Platz in der „maternelle“ gibt’s – egal ob in Paris oder in der Provinz – einen gesetzlich garantierten Anspruch.
Der Fiskus meint es gut mit den Familien
Bei den Krippen liegt der Versorgungsgrad bei über 30 Prozent. Ein Platz hier ist übrigens auch für Besserverdienende erschwinglich. Wer keinen Krippenplatz findet, muss trotzdem nicht als „Heimchen am Herd“ verzweifeln. In diesem Fall springen staatlich geprüfte Tagesmütter ein, deren Kosten zu fünfzig Prozent von der Steuer abgesetzt werden können.
Der Fiskus meint es gut mit Familien. Er belohnt nicht die Ehe, sondern die Kinderzahl. Familien- statt Ehegatten-Splitting heißt in Frankreich: Ein Kind zählt so viel wie ein halber Erwachsener. Normalverdienende Familien mit drei Kindern zahlen in Frankreich praktisch keine Einkommenssteuer mehr.