Malonne. . Die Komplizin von Kinderschänder Marc Dutroux, wühlt Belgien auf. Eine Kundgebung gegen „das Monster von Malonne“ eskaliert am Wochenende. Die Polizei nimmt zwei Demonstranten fest, geht mit Tränengas und Schlagstöcken vor.
Malonne genießt schon seit dem frühen Mittelalter den Ruf, ein spiritueller Ort zu sein. Eine stille Stätte der Besinnung, der leisen Einkehr und der Gewissenserforschung. Das Kloster, die Kirchen, die Abtei - sie überragen die schmucken Häuser aus rotem Backstein und gelblichem Fels.
Bis vor wenigen Tagen galt der selig gesprochene Bruder Mutien-Marie als berühmteste Persönlichkeit dieses erzkatholischen wallonischen Fleckchens. Das hat sich seit letzten Dienstagabend 22.30 Uhr schlagartig geändert. Es ist die Stunde, als Michelle Martin (52) ihren Fuß über die Schwelle des Klosters der „Armen Schwestern der Heiligen Klara von Assisi“ setzt.
Sie ist die Ex-Ehefrau und Komplizin des Kinderschänders und Mörders Marc Dutroux: verurteilt zu 30 Jahren Gefängnis und jetzt, nach 16 Jahren Haftzeit, wegen guter Führung vorzeitig freigelassen. Für die Mehrheit der Belgier ein unfassbarer Justizskandal. Das „Monster von Malonne“ nennt man sie, und die „meist gehasste Frau Belgiens“.
Zur Demonstration über Facebook aufgerufen
Mit spiritueller Ruhe ist es in Malonne gründlich vorbei. Auch dieser Samstag, der so sonnig und friedvoll beginnt, wird in einen ungemütlichen Chaostag münden. Die Polizeihundertschaft aus dem nahen Namur scheint zu ahnen, dass bei der bevorstehenden Demonstration Schwerstarbeit auf sie zukommen wird. Schon am Vormittag, weit vor der mit einem „Non“-Graffito besprühten Klostermauer, riegeln sie die schmale Gasse „Rue des Monastères“ ab. Im Hintergrund hält sich eine Spezialeinheit mit Schlagstöcken und Schildern bereit. Aus gutem Grund.
Drei Belgier, eher unpolitische junge Männer, haben über Facebook zu der Kundgebung aufgerufen. Tausend Demonstranten werden erwartet, tatsächlich kommt nur ein Bruchteil. „Ich hab’s heute morgen im Radio gehört und bin sofort aufgestanden“, sagt Annie Ronvaux aus dem 25 Kilometer entfernten Fernelmont. Die Großmutter führt ein schlichtes Schild bei sich, das sie rasch aus einem alten Pappkarton gebastelt hat. Darauf steht: „Du kannst ruhig schlafen, während die Kinder nächtens weinten und brüllten“. Die Kinder – das sind Julie (8) und Melissa (9). Anstatt sich um die entführten Mädchen während Dutroux’ Gefängnishaft im Frühjahr 1996 zu kümmern, ließ Michelle Martin sie einfach im finsteren Keller-Verlies bei Charleroi krepieren.
„Sie hat die Mädchen verhungern und verdursten lassen“
„Sie hat ihre Hunde gefüttert, aber die Mädchen verhungern und verdursten lassen“, empört sich Sara Capune aus Mons, die mit anderen Müttern die Gruppe „Anti-Libération de Michelle Martin“ ins Leben gerufen hat. In ihrem Fall aus eigener Betroffenheit. „Ich bin selbst ein Opfer“, erzählt sie. Als acht Monate altes Baby habe man sie in die Obhut einer Pflegefamilie gegeben, die sie später sexuell missbraucht und vergewaltigt habe. „Heute bin ich traumatisiert, depressiv, krank“, fügt Sara Capune hinzu und zieht vorsichtig die Ärmel ihrer Bluse hoch. Lange Narben kommen zum Vorschein. „Ich habe zweimal versucht, mir das Leben zu nehmen.“
Ob hier vor dem Kloster von Malonne oder anderswo in Belgien: Die umstrittene Freilassung Michelle Martins stürzt die ohnehin zerrissene Nation aufs Neue in Wut und Verbitterung. In abgrundtiefen Hass, der sich gegen Politiker und Richter, aber auch gegen die Klarissen-Schwestern richtet.
Ein stramm geführter Trupp Neonazis taucht auf
Sie gelten als besonders barmherzig und mutig, während der deutschen Besetzung haben sie Widerstandskämpfer aufgenommen. Doch das zählt jetzt nicht mehr. „Die Kirche schützt Pädophile und Monster“, steht auf dem Karton, den Philipp Marichal hochhält. Die meisten Demonstranten verlangen, dass Michelle Martin wieder hinter Gitter kommt. Für den Rest ihres Lebens. Annie Ronvaux, die zornige Großmutter, wünscht ihr sogar die Todesstrafe. „Ich bin hundertprozentig dafür“, sagt sie mit eiskalter Stimme.
Zunächst bleibt die Kundgebung der wenigen Hundert, darunter Familien mit Kindern, harmlos. Doch dann marschiert ein stramm geführter Trupp Neonazis auf: Tätowierte Typen in Schwarz, mit Glatze und Springerstiefeln. Trittbrettfahrer, die nur ihr eigenes braunes Süppchen kochen wollen. Zuerst schleudern die Radaubrüder nur Parolen über die Absperrung. „Pute, pute“, „Hure“, grölen sie. Und: „Schande“, „Monster“. Als auch noch Eier und Steine fliegen und Provokateure am Metallzaun zerren, antwortet die Polizei mit Tränengas und Gummiknüppel. Es gibt blutige Gesichter und zwei Festnahmen. Dann herrscht wieder Ruhe.
Anwohner verfolgen die Randale hinter ihren Gardinen versteckt
Was auffällt: Unter den Demonstranten ist kaum jemand aus Malonne. Viele Anwohner, halb beklommen, halb fassungslos, verfolgen die Randale schüchtern hinter der Gardine. „Das ist nicht mehr unser Malonne“, sagen Philippe und Maite, ein Ehepaar um die Fünfzig. Die beiden „Malonnois“ können von ihrem Küchenfenster aus die hohe Klostermauer sehen. Über zehn Jahre haben sie sogar für die Klarissen-Schwestern gearbeitet: stets freiwillig und unentgeltlich. „Ich habe den Rasen gemäht, die Fenster gestrichen“, sagt Philippe, einst ein gottesfürchtiger Mann. Doch als sich die Missbrauchsskandale in der Kirche häuften, sei ihr Glaube schwach geworden, sagen sie. Seit der Affäre Michelle Martin hätten sie vollends mit den Klarissen gebrochen. Ins Fenster haben sie einen stillen Protest gehängt. „Wir Einwohner von Malonne und anderswo, lehnen ihre Unterbringung hier ab. Lasst Sie nicht frei“, heißt es auf dem DIN-A4-Bogen.
Wenn Michelle Martin wollte, könnte sie jederzeit hinunter ins Dorf spazieren. Schließlich ist sie – trotz hoher Bewährungsauflagen – eine freie Frau. Doch Philippe und Maite rechnen nicht damit, die „unerwünschte Person“ auf absehbare Zeit zu Gesicht zu bekommen. „Unvorstellbar, man würde sie bespucken, treten und ihr vielleicht noch Schlimmeres antun“, sagen sie.