Brüssel. . Ersetzen in Belgien: Die Ex-Frau von Kinderschänder Marc Dutroux ist auf freiem Fuß. Die 52-Jährige zieht zu einem Klarissen-Orden in der Gemeinde von Namur. Die Familien der Opfer sind schockiert. Droht nun auch ein vorzeitiges Haftende für Mörder Dutroux?
Die wohl meistgehasste Verbrecherin Belgiens ist auf freiem Fuß. Auch am Tag nach der vorzeitigen Haftentlassung Michelle Martins wollen sich viele Belgier nicht damit abfinden. Sie sind entsetzt. Die Entrüstung über den Umzug der Exfrau und Komplizin des Kinderschänders und Mörders Marc Dutroux in ein Kloster trieb am Mittwoch makabere Blüten: So rief ein flämischer, rechtspopulistischer Politiker zur Ermordung Martins auf und erntete dafür neben Kritik auch Zustimmung. Vor dem Kloster in Malonne schrien Demonstranten gegen das empfundene Unrecht an.
Schon bei ihrer Ankunft am Dienstagabend gegen 22.30 Uhr in einem zivilen Geländewagen mit abgedunkelten Scheiben wird Martin von mehr als 100 wütenden Demonstranten beschimpft. Einige versuchen, Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Steine fliegen. In einen schwarzen Nadelstreifen-Blazer gekleidet, saß die dreifache Mutter auf der Rückbank. Ihr eigener Sohn hatte der 52-Jährigen stützende Worte mit auf den Weg gegeben. Sie sei „kein Monster, nur eine arme Frau und eine gute Mutter“, sagte der Spross aus Martins geschiedener Ehe mit Marc Dutroux einem Magazin. Doch Martin ist in Belgien eine Geächtete.
Strikter Resozialisierungsplan
Die Nonnen des Klarissen-Ordens in der Gemeinde von Namur hatten sich bereit erklärt, sie im Rahmen eines strikten Resozialisierungsplans aufzunehmen. Die Kosten der Sicherheitsvorkehrungen vor Ort beziffert die Polizei auf 120 000 Euro pro Monat. Die Freilassung Martins ist an Auflagen geknüpft; so darf sie nicht ohne richterliche Genehmigung umziehen. Außerdem darf sie die Provinzen Lüttich und Limburg nicht betreten, weil dort die Eltern von vier ermordeten Mädchen wohnen. Sie darf keine Interviews geben und wird psychologisch betreut. Des Weiteren ist sie Medienberichten zufolge verpflichtet, entsprechend ihren Einkünften die Opfer zu entschädigen. Bislang haben diese laut eigenen Angaben fast kein Geld von ihr erhalten.
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Der Hass auf Martin sitzt in den Opferfamilien tief: Jean-Denis Lejeune, Vater der ermordeten Julie, hat einen Brief an Martin geschrieben. Darin heißt es: „Was immer geschieht – Sie mögen wissen, dass Sie meine Vergebung nie bekommen werden. Denn Sie sind direkt für das Allerschlimmste verantwortlich.”
Vorzeitiges Haftende für Dutroux?
Nun diskutieren die Belgier, ob womöglich auch der Haupttäter Marc Dutroux auf ein vorzeitiges Ende seiner Zeit im Gefängnis rechnen kann. Er wurde 2004 unter anderem wegen fünffachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Dutroux kann Ende April 2013 seine Entlassung beantragen.
Die Aussicht, dass einem solchen Gesuch stattgegeben wird, ist freilich gering, zumal nach dem Wirbel um die Freilassung seiner Ex-Frau. Zum einen müsste Dutroux einen Resozialisierungsplan einreichen, den ein Bewährungstribunal als glaubwürdig einstuft. Außerdem kann der Staat Marc Dutroux auch nach einem Entlassungsbeschluss für weitere zehn Jahre in Sicherungsverwahrung nehmen.
Politiker wollen Bewährungsrecht verschärfen
Dennoch: Für die belgische Politik, die kurz vor wichtigen Lokalwahlen steht, ist allein die Aussicht peinlich, dass der furchtbarste Verbrecher des Landes in Kürze Freiheit verlangen und sich dabei auf die Gesetze berufen kann. Sein Komplize Michel Lelièvre, zu 25 Jahren Haft verurteilt, hat das schon mehrfach getan, wegen mangelhafter Führung bislang allerdings vergeblich.
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Das Sechs-Parteien-Bündnis unter Premier Elio Di Rupo will das Bewährungsrecht verschärfen. In Fällen von Mord, Vergewaltigung, Kindesmissbrauch oder Entführung sollen Strafen von 30 Jahren und mehr mindestens zur Hälfte abgesessen werden müssen, bei Rückfall-Tätern zu drei Vierteln. Außerdem soll der Spruch eines Bewährungstribunals in höherer Instanz angefochten werden können. Zur Diskussion steht auch die – von Familien der Dutroux-Opfer unterstützte – Forderung, Angehörigen im Bewährungsverfahren mehr Rechte zu geben.
Die grausamen Taten von Dutroux
Marc Dutroux hat mit der Hilfe seiner damaligen Frau sechs Mädchen zwischen 8 und 19 Jahren entführt, vergewaltigt, zwei von ihnen ermordet und zwei weitere verhungern lassen. Zwei Mädchen wurden befreit. Michelle Martin beharrt darauf, sich passiv verhalten und unter dem Einfluss ihres psychopathischen Gatten gestanden zu haben. Tatsache ist, dass Martin zwei achtjährige Mädchen, Melissa und Julie, im Keller verhungern ließ, während ihr Mann wegen Diebstahls im Gefängnis saß.
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Die Verbrechen erschütterten Belgien. Auch wurden Missstände in Polizei und Justiz aufgedeckt. 1996 wurde Martin verhaftet und im Jahr 2004 zu 30 Jahren Haft verurteilt. In Belgien ist eine vorzeitige Haftentlassung möglich, wenn mindestens ein Drittel der Strafe verbüßt ist. Richter entschieden, Michelle Martin nach 16 Jahren Haft wegen guter Führung vorzeitig freizulassen. Gegen die Freilassung Martins steht den Angehörigen der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte offen.