Essen. . Beckmann gab den Besserwisser, bei Waldi wurde herumgepöbelt. Und selbst die Urlauber machten einen Bogen um den ZDF-Fernsehstrand. Die TV-Berichterstattung zur Fußball-EM war zum Abgewöhnen. In positiver Erinnerung bleibt höchstens Bela Rethy, dem ohne Spickzettel ein witziger Kommentar gelang.
Wie sich inzwischen herausgestellt hat, war diese Europameisterschaft kein Hort des Frohsinns. Das Fernsehen macht da keine Ausnahme. Live-Kommentare schwer wie Blei, ein Fußballstrand mit einer Stimmung wie in der Stadtbücherei, dazu die prolligen Pöbeleien in Waldis Bierbahnhof – so gewinnt man keine Titel.
Und wenn nicht der liebe Scholli gleich zum Anpfiff des Turniers einen dummen Spruch über Mario Gomez rausgehauen hätte, wäre noch nicht mal Stoff genug für des Deutschen Lieblingsbeschäftigung übrig gewesen: das Nörgeln. Im Nörgeln sind wir Weltmeister. Wir nörgeln sogar über die Leute, die nörgeln. Auch deshalb überwucherte Mehmet Scholls Gomez-Spruch die Berichterstattung der kompletten ersten EM-Woche, vielleicht auch in Ermangelung anderer Vorlagen.
Kritik üben, nach einem Sieg – darf man das eigentlich, fragte die Nation empört und erörterte die Antwort in den bewährten Foren. Die Nationalmannschaft beschwerte sich in den Pressekonferenzen, Waldis Spießgesellen rissen ihre Zoten, gern auch im Kaiser-Kostüm, Frank Plasberg rief eilig eine so genannte Experten-Runde ein, und – Euro-Krise hin, Rettungsschirm her – irgendwie bekam man den Eindruck: Die Gomez-Kritik ist ein Fall für Amnesty International.
Scholl biss sich auf die Zunge
Der liebe Scholli wurde von diesem Shitstorm so erwischt, dass er sich von Stund an überhaupt nichts mehr traute. Man muss ihm zugute halten, dass er nach Gerhard Dellings frühem Abschied einen Partner zur Seite gestellt bekam, mit dem er überhaupt nicht konnte.
Fußball-Europameisterschaft 2012Reinhold Beckmann gab wieder einmal den Besserwisser und mühte sich nach Kräften, jeglichen Dialog zu versenken. Was einst im Duo Delling-Netzer wunderbar leicht funktionierte, diese knackigen Doppelpässe zwischen Fachkenntnis und Humor, gerann diesmal zum zähen Quark. Beckmann machte sich wichtig, und Scholl biss sich lieber auf die Zunge, als noch einmal was Böses zu sagen.
Erholung beim Anblick von Wellen, Wind und Möwen
Man freute sich also fast, wenn das ZDF übernahm und nach Usedom schaltete, und das soll wirklich was heißen. Jubelfeste fanden am Fernsehstrand zu Heringsdorf wahrlich nicht statt, aber so schlecht wie im Nörgel-Forum behauptet, war der an die Ostsee verlegte Fernsehgarten nun auch nicht. Und immerhin konnte man sich zwischendurch immer wieder beim Anblick von Wellen, Wind und Möwen erholen, was ja nun bei Beckmann, Scholl und Waldi leider nicht möglich war.
Selbst die Urlauber vor Ort machten einen Bogen um die Veranstaltung, was aber auch am Preisgefüge liegen kann. Die besten Plätze kosteten 120 Euro. Manche der 800 Liegestühle und 80 Strandkörbe blieben also leer, was die allgemeine Freude mächtig dämpfte, auch bei den Veranstaltern, die nun ein Defizit im hohen fünfstelligen Bereich befürchten.
Gewittersturm raubt den Spickzettel
Was bleibt in Erinnerung? Ein witziger Live-Kommentar von Bela Rethy, dem ein Gewittersturm den Spickzettel raubte, und vor allem die letzten Minuten des Spiels Spanien gegen Irland. Vier Dinger hatten die Iren reingekriegt, die Party war zu Ende, und dann begann die grüne Insel-Armee zu singen. „Fields of Athenry“, ein schwermütiges Lied von einem armen Bauern, der einem reichen Engländer Getreide stiehlt, um seine Familie vor dem Hungertod zu retten. Immer lauter sangen sie, ein gewaltiger Chor von Trotz und Trauer füllte Arena und Fernsehschirm, und was macht Tom Bartels: Er schweigt. Lässt die Bilder wirken, spürt die Macht dieser Minuten. Ein TV-Kommentator, der mal die Klappe hält: Das ist nun wirklich einen Titel wert.