Manama. Auf den Straßen stehen sich Polizei und Demonstranten gegenüber - und die Formel 1 schaut weg. Trotz großer Fragezeichen wurde das Rennen in Bahrain nicht abgesagt. Ein großer Fehler. Völlig daneben waren vor allem die Rechtfertigungen der Bosse Jean Todt und Bernie Ecclestone.
Brennende Straßen, täglich Zwischenfälle und ein erschossener Demonstrant keine 20 Kilometer von der Rennstrecke entfernt: Schon lange bevor auf der Rennstrecke der Sieger von Bahrain ermittelt wurde, stand der Verlierer fest - die gesamte Formel 1. Auch wenn es direkt an und um die Strecke keinen Zwischenfall gab, lässt sich festhalten: Der PS-Zirkus hat zunächst keinen Frieden oder Einigkeit in den Golfstaat gebracht. Und er hat sich selbst mit dem umstrittenen Gastspiel keinen Gefallen getan.
Auch die Teamchefs, die Präsident Jean Todt vom Automobil-Weltverband FIA gerne als Kronzeugen für die angeblich so große Freude über die Austragung des Rennens anführt, sehen das wohl so. 'Nach diesem Wochenende sollten wir uns hinsetzen und die Thematik in Ruhe analysieren', sagte Mercedes-Teamchef Ross Brawn. Eine mindestens interpretierbare Aussage. Und endlich eine realistische, die den Weg in die Öffentlichkeit findet.
Propaganda-Veranstaltung für Königshaus
Diejenigen, die die Formel 1 zu dieser Propaganda-Veranstaltung für das umstrittene Königshaus - das am Sonntag schnell noch die weltweite Aufmerksamkeit nutzte, um hoffentlich ernst gemeinte Reformpläne anzukündigen - verpflichtet haben, gaben an diesem Wochenende nur Hanebüchenes von sich. Todt wertete - selbst im Wissen, dass wenige Stunden zuvor ein 36-Jähriger bei Unruhen getötet worden war - die fast täglichen Demonstrationen als alltäglich und verglich die politisch motivierten Unruhen, die das Land seit 14 Monaten erschüttern, mit Ausschreitungen im Fußballstadion. Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone wünschte sich gar ein Erdbeben, damit die Journalisten keine angeblich erfundenen Geschichten über die Lage in Bahrain mehr verfassen. Findet man dazu noch Worte?
Fakt ist: Im Vorfeld hatten zahlreiche Politiker, wie in Deutschland der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte, eine Absage des Rennens gefordert, das Netzwerk Reporter ohne Grenzen hatte Bahrain als eines der gefährlichsten Länder für Journalisten eingestuft. Andere Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch hatten die Lage im Golfstaat angeprangert, das Hilfswerk Mediziner ohne Grenzen entsendet keine Ärzte mehr in den kleinen Inselstaat im Persischen Golf.
Sie alle durften sich zumindest dahingehend bestätigt fühlen, dass eine Gefahr allgegenwärtig war. Die 'Rückkehr zur Normalität', die die Regierung propagiert, hat es noch nicht gegeben. Vier Mechaniker des Rennstalls Force India (von dem daraufhin zwei Mitarbeiter sofort das Land verließen), zwölf Angestellte des Sauber-Teams und angeblich auch Ecclestones 'rechte Hand' Pasquale Lattuneddu wurden Augenzeugen von Zwischenfällen auf der Fahrt von der Strecke zu ihren Hotels. Wären sie kurz zuvor an jenen Stellen vorbeigekommen, hätte Schlimmeres passieren können.
Zynismus herrscht in Bahrain
Die Bahrainis hatten für solche Bedenken nur Zynismus übrig. Force India habe eben schlechtes Timing gehabt, sagte Streckenchef Zayed Al Zayani: 'Man kann überall auf der Welt in Ausschreitungen oder einen Zwischenfall geraten.' Dass so etwas wenigstens nicht an der Strecke passierte, dafür sorgten scharfe Sicherheitskontrollen mit Unterbodenspiegeln, Hunden und einem finster dreinschauenden Soldaten mit Maschinengewehr im Anschlag. Doch die Sicherheitskontrolle war auch eine Zensur. Sogar Fotos auf Speicherkarten der Fotografen mussten beim Betreten des Hochsicherheitstrakts präsentiert werden. Es sollte ja kein falsches Bild entstehen. Und politischen Journalisten hatte man auch nicht umsonst das Visum verweigert.
Dass die Formel 1 in einem solchen Umfeld gefahren ist, war nicht nur leichtsinnig, es war auch ein falsches Signal. Dass das Rennen nicht zur Entspannung der Lage beitragen würde, war von vornherein klar, schließlich hatte die Pro-Demokratie-Bewegung die Veranstaltung als Provokation empfunden.
Team-Verantwortliche und Fahrer hatten sich die ganzen Woche über artig an die offizielle Sprachregelung gehalten, Sponsoren äußerten sich überhaupt nicht. Dass viele Vertreter aller Lager den Trip nicht als richtig empfanden, ist dennoch bekannt. Bleibt zu hoffen, dass sie ihre Position jetzt intern klarmachen und ihr Nachdruck verleihen, damit der Formel 1 ein solch absurdes Schaulaufen künftig erspart bleibt.
Neue Ausschreitungen zwischen Polizei und Demonstranten in Bahrain
Wenige Stunden vor Beginn des umstrittenen Formel-1-Rennens in Bahrain hat es erneut gewaltsame Zusammenstöße zwischen regierungskritischen Demonstranten und der Polizei gegeben. Polizisten setzten in der Nacht zum Sonntag Tränengas und Lärmgranaten gegen hunderte schiitische Demonstranten ein, die ihrerseits Steine und Molotowcocktails schleuderten, während sie lautstark den Rücktritt des sunnitischen Königs Hamad bin Issa al-Chalifa forderten. Nach den Protesten in der Nacht zum Samstag war ein 36-Jähriger Mann tot aufgefunden worden.
Die Demonstranten verlangen auch die Freilassung des dänisch-bahrainischen Menschenrechtsaktivisten Abdulhadi al-Chawaja, der sich seit mehr als zwei Monaten im Hungerstreik befindet. Das bahrainische Innenministerium teilte am Sonntag über den Internet-Kurznachrichtendienst Twitter mit, Al-Chawaja sei bei "guter Gesundheit" und werde am Sonntag den dänischen Botschafter treffen. Der schiitische Oppositionelle war im Frühjahr 2011 festgenommen worden und wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.
Bahrains König verspricht vor Formel-Eins-Rennen Reformen
Unmittelbar vor dem umstrittenen Formel-Eins-Rennen in Bahrain hat König Hamad bin Issa al-Chalifa Reformen und Gespräche mit der Opposition in Aussicht gestellt. "Ich möchte mich persönlich klar zu Reformen und Aussöhnung in unserem großartigen Land bekennen", hieß es in einer am Sonntagmorgen veröffentlichten Erklärung des Monarchen. "Die Tür für einen ernsthaften Dialog des gesamten Volkes ist immer offen." Seine Regierung habe durchaus schon Reformerfolge erzielt, betonte der König. "Wir müssen diesen Weg der Reformen fortsetzen."
Die Erklärung des Königs wurde wenige Stunden vor dem Formel-1-Rennen in dem Golfstaat veröffentlicht, für das sich Weltmeister Sebastian Vettel im Qualifying am Samstag die Pole Position gesichert hatte. Im Vorfeld des Rennspektakels hatte es heftige Proteste gegen den König sowie gewaltsame Zusammenstöße zwischen regierungskritischen Demonstranten und der Polizei gegeben. Regierungsgegner berichteten am Samstag, an einem der Orte der nächtlichen Proteste sei die Leiche eines Mannes gefunden worden. Er sei von Sicherheitskräften getötet worden.