Dresden. Ein Angeklagter hat am Dresdner Landgericht mitten im Prozess eine Zeugin erstochen. Die junge Mutter starb an ihren schweren Verletzungen. Auch ihr Ehemann wurde verletzt. Der Angeklagte stand vor Gericht, weil er sein jetziges Opfer zurvor als Terroristin beschimpft hatte.

Auf der Straße vorm Dresdner Landgericht stehen mehrere Polizeifahrzeuge und Notarztwagen. Dutzende Beamte haben das Gebäude abgeriegelt und lassen nur noch Mitarbeiter und Sicherheitskräfte hinein. Eine junge Frau kommt am frühen Nachmittag mit einer Akte unterm Arm heraus. Sie ist bleich im Gesicht und hat Tränen in den Augen. Als Reporter sie ansprechen, schüttelt sie nur kurz den Kopf. «Es ist entsetzlich», sagt sie ganz leise.

Nur wenige Stunden zuvor hat sich hinter den dicken Mauern in dem altehrwürdigen Justizgebäude ein blutiges Drama abgespielt. Ein 28 Jahre alter Angeklagter zückte dort nach ersten Erkenntnissen der Ermittler kurz nach Prozessbeginn gegen 10 Uhr plötzlich ein Messer. Anschließend stach er auf eine Zeugin ein und verletzte diese mit mehreren Messerstichen so schwer, dass sie wenig später verstarb. Zwei weitere Personen sollen bei der Messerattacke im Saal 0.10 im Erdgeschoss verletzt worden sein, darunter der Ehemann der Getöteten.

Opfer wurde vor den Augen ihres Kindes erstochen

Die grausige Tat spielte sich vor den Augen ihres kleinen Kindes ab, das die beiden mit zur Verhandlung genommen hatten. Das Kind konnte nach Angaben von Justizbediensteten in Sicherheit gebracht werden. Polizisten gelang es schließlich, den Täter zu überwältigen. In dem Prozess musste sich Alex W. wegen Beleidigung verantworten. Möglicherweise musste die Frau sterben, weil sie gegen ihn ausgesagt hatte.

Thomas Schmidt saß zur Tatzeit in einem benachbarten Gerichtssaal. Der 43-Jährige beobachtete als Zuschauer einen anderen Prozess. «Wir alle haben plötzlich ganz komische Schreie gehört», berichtet er nun mit belegter Stimme. Dann sei ein Polizist in den Saal gestürzt und habe seinen Kollegen um Hilfe gebeten, der dort als Zeuge aussagen sollte. «Schnell, deine Waffe, es gibt eine Schlägerei», habe er gerufen. Schmidt sagt, kurz darauf habe man einen Schuss gehört. Als er am Mittag endlich wie benommen aus dem Gericht geht, sieht er vor Saal 0.10 eine Blutlache. Kriminaltechniker sichern da bereits den Tatort und beginnen Spuren aufzunehmen.

Im August 2008 soll der mutmaßlichen Täter Alex W. das jetzige Opfer auf einem Spielplatz in Dresden unter anderem als Terroristin beschimpft haben. Die junge Frau, eine aus Ägypten stammende Muslimin, trug ein Kopftuch. Sie hatte den arbeitslosen Mann lediglich gebeten, eine von ihm besetzte Schaukel für ihr kleines Kind freizugeben.

Opfer als Terroristin beschimpft

Drei Monate nach dem Vorfall wurde W. wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 780 Euro verurteilt. Er ging in Berufung, der Fall landete beim Landgericht. Die 32-Jährige war nun offenbar als einzige Zeugin geladen, um ein weiteres Mal zu den Geschehnissen auf dem Spielplatz vernommen zu werden.

Mit der Tat habe niemand rechnen können, sagt Gerichtssprecherin Bettina Garmann den Reportern, die vor dem Gerichtsgebäude warten. «Es gab keinerlei Anzeichen für einen solchen Gewaltausbruch.» Personenkontrollen gibt es am Dresdner Landgericht generell nicht. Nur bei Hinweisen auf mögliche Gefährdungen werden sie im Einzelfall angeordnet. W. soll bislang nicht wegen Gewalttätigkeiten aufgefallen sein.

Sichtlich bewegt tritt am frühen Nachmittag der sächsische Justizminister Geert Mackenroth (CDU) vor die Kameras. Gerade hat er den Tatort gesehen und mit Bediensteten gesprochen. «Ich bin völlig schockiert», sagt er nun. Sein Mitgefühl gelte der Familie der Getöteten.

Nachdem der Schuss gefallen war, war im Landgericht über Lautsprecher eine Amokwarnung zu hören. Viele Bedienstete flüchteten in Todesangst in ihre Zimmer und schlossen sich ein. Aber auch nachdem klar war, dass der Täter hinter Schloss und Riegel sitzt, war an eine reguläre Arbeit erst einmal nicht zu denken. Etliche Prozesse wurden abgebrochen und vertagt. «Die Kolleginnen und Kollegen sind völlig fertig», sagt Garmann. (ap)