Essen. . Wenn am morgigen Dienstag das Urteil im Fall Kachelmann gesprochen wurde, fällt der Vorhang für eine finstere Show. Noch nie ist ein Prozess so öffentlich ausgeschlachtet worden. Dieser Fall hinterlässt nur Verlierer.
Das Spekulationsgewitter wird langsam weiter ziehen. Und die Küchenpsychologen dürfen sich schon bald wieder in kühnen Theorien über andere ergehen als Jörg Kachelmann. Mit dem Urteil am Dienstag wird sich der mediale Pulverdampf nach und nach verziehen. Noch nie ist ein Prozess, der die Öffentlichkeit im Gerichtssaal überwiegend ausschloss, so öffentlich ausgeschlachtet worden. Für eine finstere Show fällt der Vorhang. Es ist. so oder so, die herbeigesehnte Erlösung aus einem Fall, der nur Verlierer hinterlässt. Auch die Medien.
Jeder Bartfussel, so schien es, sagte kurz nach seiner Festnahme vor 14 Monaten etwas über die Schuld Jörg Kachelmanns aus. Sein Lächeln war plötzlich ein Grinsen, der eigenwillige Humor des Wettermanns wurde zum Thema, sein dubioser Ruf, alles war auf einmal merkwürdig an ihm. Autoren ersetzten Recherche durch Mutmaßungen, die ihre verleumderische Kraft entwickelten, bevor der Staatsanwalt die Anklage verlas.
Sexuelle Vorlieben
Seine Frauengeschichten, seine sexuellen Vorlieben, von enttäuschten Ex-Freundinnen ausposaunt und ausgeschlachtet in den bunten Blättern, schienen wie Gutachten daher zu kommen. Privatestes, das außerhalb der eigenen Wände nichts zu suchen hat, wurde dem Publikum zum Fraß vorgeworfen. Zwischen den Zeilen war stets der Satz zu lesen: Wer so ist, der macht auch sowas. Ein Verdacht kann einen Angeklagten öffentlich erledigen. „Spiegel“ und „Zeit“ hielten mit regelrechten Plädoyers für Kachelmann verbissen gegen die Vorverurteilungen, beharrten auf der Unschuldsvermutung.
Die vermeintliche Wahrheitsfindung verlagerte sich schnell in das Fernsehgericht der allabendlichen Talkrunden. Nur der Dritte Weltkrieg hätte den Fall Kachelmann von dort verdrängen können. Haarklein debattierten Experten und viele, die sich dafür halten, jedes Detail, feuerten Salven schillerndster Interpretationen ab und ließen den Betrachter zwischen all den Halbwahrheiten ratlos zurück.
Alice Schwarzer verspielte ihren Restkredit
Alice Schwarzer, bei der die Eitelkeit moralische Bedenken offenbar ausradiert, giftete ausgerechnet im Nackedeiblatt „Bild“ mit einer Kolumne herum und verspielte ihren Restkredit. Im vermeintlichen Opfer sah sie freilich die Symbolfigur für alle betrogenen Frauen. Sie mopperte vor und hinter der Kamera gegen ihre Intimfeindin vom „Spiegel“, Gisela Friedrichsen, der sie grundsätzliche Milde für Täter unterstellte, und die schoss zurück. Ein unwürdiger Hennenkampf von mäßigem Erhellungswert. Dass Schwarzer zu schlechter Letzt „Bild besser jedenfalls als die ,Zeit’“ fand, zeigte, wieviel Kraft dieser Prozess gekostet hat.
Aus Beobachtern sind Mitspieler geworden, ein Tabu für Journalisten. Der Bruch ist nicht mehr zu kitten.