Essen/Hamburg. . Anwohner in Hamburg Wilstorf sind entsetzt und erschüttert, weil der mutmaßliche Kindermörder zehn Jahre unter ihnen lebte. „Ganz unauffällig“, wundert sich ein Ladenbesitzer. „So wie ganz viele, die in mein Geschäft kommen.“ Die Polizei sagt wenig an diesem Wochenende. Sie wundert sich aber auch nicht.
„Fassungslos“ seien sie, sagen die Menschen in die Mikros, die ihnen hingehalten werden, überall an diesem Wochenende im Hamburger Stadtteil Wilstorf. Und in der Jägerstraße, wo Martin N. zehn Jahre zur Miete gewohnt hat und wo ein Sondereinsatzkommando den mutmaßlichen mehrfachen Kindermörder vor seiner Wohnung festgenommen hat, sprechen sie von „Horror“ und „Entsetzen“.
Über die Taten, darüber, dass der heute 40-Jährige so lange Jugendliche betreut hat, vor allem aber darüber, dass der „schwarze Mann mit der Maske“ so normal aussieht auf all den Bildern, die mittlerweile kursieren. Groß, kurzes Haar, schüchternes Lächeln. „Ganz unauffällig“, wundert sich ein Ladenbesitzer. „So wie ganz viele, die in mein Geschäft kommen.“
Die Polizei sagt wenig an diesem Wochenende. Sie wundert sich aber auch nicht. Weil sie immer davon ausgegangen ist, dass der Gesuchte „ein sozial integrierter Mensch“ ist. Wie schon so viele Mörder vor ihm. Und wie wohl leider auch noch viele nach ihm. „Nach außen nett, hilfsbereit, zurückhaltend“, hat ihn Martin Erftenbeck, Leiter der Soko-Dennis bereits am Freitag genannt. Und Fallanalytiker Alexander Horn spricht von „einer Art doppelter Buchführung“, die N. jahrelang betrieben habe. Er konnte das offenbar.
Täter spricht angeblich fünf Sprachen
„Sehr intelligent“ nennt die Polizei den ehemaligen Lehramtsstudenten, der angeblich fünf Sprachen fließend spricht. Unauffällig und intelligent – idealer können die Voraussetzungen für einen Serientäter kaum sein. Noch dazu, wenn er seit fast 21 Jahren alleine lebt und wie Fahnder es nennen, „wenig sozialer Kontrolle unterworfen ist“.
Im Nachhinein, ja im Nachhinein gibt es natürlich Beobachtungen und Vorfälle, die ins Bild passen. Ein Bild, das man aber erst jetzt kennt. Dem „Spiegel“ haben ehemalige Nachbarn von N. erzählt, er habe Ende der 1990er Jahre „etwa 10 bis 15 Jahre alte Pflegekinder“ in seiner Wohnung bei sich aufgenommen. Und ein Kioskbesitzer in Hamburg erinnert sich in der Bild am Sonntag nun ebenfalls an „Jugendliche im vorpubertären Alter“, die zu Gast waren bei N.
Viele Anrufe mit gezielten Hinweisen
Die Polizei will weder das eine noch das andere bestätigen. Sie sagt nur, dass es seit Freitag viele Anrufe mit gezielten Hinweisen gegeben habe. Diese würden ausgewertet. Was Monate dauern kann.
N. war den Behörden allerdings nicht unbekannt. Schon im Jahr 2005 zeigt ihn eine Mutter an. Er habe ihren sechs und acht Jahre alten Söhnen in seiner Wohnung den nackten Bauch gestreichelt. Weil es sich um ein Vergehen „an der Grenze zur Straflosigkeit“ gehandelt habe, sei der Fall vom Gericht gegen eine Geldauflage von 1800 Euro eingestellt worden, bestätigt ein Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft.
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Ein Jahr später muss sich N. wegen versuchter Erpressung verantworten. Von einem Berliner Bekannten hatte er 20 000 Euro gefordert, ansonsten mit der Veröffentlichung kinderpornografischer Bilder aus dessen Besitz gedroht. Strafe: Zehn Monate Haft auf Bewährung. In beiden Fällen, so die Hamburger Staatsanwaltschaft, habe es aber weder Hinweise auf die Morde noch auf andere Straftaten gegeben.
Verhandlung noch in diesem Jahr geplant
Die Verfahren reichen der Soko Dennis allerdings, N. im Jahr 2007 schon einmal zu befragen. Wie gut 1000 andere Männer mit bekannten pädophilen Neigungen auch. Damals aber kann er sich herausreden. Vor neun Wochen gerät er dann wieder ins Visier der Fahnder. Nach einem erneuten Fahndungsaufruf erinnert sich ein Zeuge daran, dass ihn ein Betreuer bei einer Jugendfreizeit in einem Schullandheim 1995 in auffälliger Weise über seine Wohnsituation ausgefragt hatte – einige Monate später war der Junge von einem maskierten Mann missbraucht worden.
Nun nutzen N. weder Unauffälligkeit noch Intelligenz. Nach dieser Zeugenaussage überprüfen die Fahnder die damaligen Mitarbeiterlisten des Heimes und stoßen wieder auf seinen Namen. Nach mehrwöchiger Observation greift die Polizei am Mittwoch zu. Und keine 24 Stunden nach seiner Festnahme legt N. ein erstes Geständnis ab. Drei Morde und den Missbrauch von über 40 Jungen hat er eingeräumt. Die Polizei schließt aber nicht aus, dass es noch mehr Fälle gibt. „Wir ermitteln weiter.“