Essen/Verden. . Ein 40-Jähriger hat drei Kinder getötet. Die Polizei fahndete fast 20 Jahre nach dem Serienmörder. Nun hat sie ihn gefasst. Es ist ein Pädagoge, der bei Nachbarn als „hilfsbereit“ und „nett“ galt - und ein grausiges Doppelleben führte.
„Eigenbrötler“ ist das schlimmste, was den Menschen, die hier im Hamburger Stadtteil Wilstorf Tür an Tür mit ihm gelebt haben, zu Martin N. einfällt. Zu dem Mann, der mindestens drei kleine Jungen ermordet und über 40 weitere sexuell missbraucht haben soll. „Unauffällig“ sei er gewesen. So unauffällig wie das weiß verklinkerte Haus, in dem er seit zehn Jahren zur Miete wohnte. Wem er trotzdem aufgefallen ist, der nennt N. sogar „hilfsbereit“ und „nett“. Für seine kleinen Opfer war er „der Mann mit der Maske“, „groß wie ein Riese“, „böse wie ein Monster“.
Fast zwanzig Jahre haben sie ihn gejagt. So lange schon streift ein Mann nachts durch Jugend-Zeltlager und Schullandheime in Norddeutschland. Schwarz gekleidet und maskiert, holt er dort kleine Jungen aus ihren Betten und Schlafsäcken, schleppt sie weg, fotografiert sie und vergeht sich an ihnen. Später dringt er rund um Bremen auch in Wohnhäuser ein, um sich seine Opfer zu holen.
Im März 1992 wird aus dem Sexualverbrecher ein Mörder. Da entführt er nach eigener Einlassung aus einem Internat in Scheeßel den 13-jährigen Stefan J. und tötet ihn. Im Juli 1995 verschleppt N. den achtjährigen Dennis R. aus Lippstadt aus einem Zeltlager in Schleswig-Holstein. Zwei Wochen später wird die Leiche des Kindes in Dänemark am Strand entdeckt – vergraben unter einer Düne. Ganz in der Nähe, weiß die Polizei mittlerweile, hat N. damals ein Ferienhaus gemietet.
Zwei tote Kinder, doch die Tatorte liegen offenbar zu weit auseinander, um die Fälle in Verbindung zu bringen. Bis am 5. September 2001 der neunjährige Dennis K. aus einem Schullandheim bei Wulsbüttel verschwindet und zwei Wochen später auf einem Waldweg tot aufgefunden wird. Nun sehen die Ermittler Parallelen und ahnen plötzlich: „Wir suchen einen Serienmörder.“ Sie können ihn nur nicht fassen. Obwohl sie eine 40-köpfige Sonderkommission einrichten und 8000 Spuren nachgehen.
Zeuge aus Nordrhein-Westfalen
Doch im Sommer vergangenen Jahres kommt neuer Schwung in die Ermittlungen. Da meldet sich ein Zeuge aus Nordrhein-Westfalen bei der Polizei. Im Fernsehen hat er die Wiederholung einer Dokumentation über den Fall Dennis gesehen und sich plötzlich erinnert. Erinnert an jenen frühen Morgen im September 2001, an dem er von der Kaserne in Garlstedt, wo er damals stationiert ist, aufbricht zum Lauftraining. Erinnert an einen bulligen Mann mit Brille und ein Kind auf dem Rücksitz eines hellen Opel im Licht seiner Stirnlampe. Eine flüchtige Begegnung, die der Soldat schnell wieder vergessen hat.
Zur Chronik der Pressekonferenz
Mehrere Monate prüft die Polizei die neue Zeugenaussage, im Februar 2011 geht sie damit an die Öffentlichkeit. Nicht nur um neue Hinweise zu bekommen. „Wir wollten den Schwarzen Mann entmonstern“, sagt der Leiter der Polizeiinspektion Verden/Osterholz, Uwe Jordan. „Und zeigen, dass er wahrscheinlich ein sozial unauffälliger, integrierter Mensch ist.“
Es klappt. Endlich gibt es eine heiße Spur. Ein früheres Missbrauchsopfer, das 1995 in seinem eigenen Haus überfallen und missbraucht worden ist, meldet sich ein weiteres Mal bei den Ermittlern. Ihm ist wieder eingefallen, wie er als Zehnjähriger von einem Betreuer auf einer Jugendfreizeit intensiv über seine Wohnsituation ausgefragt wurde. Der Betreuer war Martin N. Lehramtsstudent, seit Jahren alleinlebend und nach seiner Zeit als Jugendbetreuer als Pädagoge in der Erwachsenenbildung beschäftigt.
Er ist kein Unbekannter für die Polizei. Seine Leidenschaft für kleine Jungen ist aktenkundig. Deshalb ist er 2007 schon befragt worden – wie 1000 andere auch. Aber damals kann er sich rauslügen, obwohl die Beschreibung passt.
Fahnder sind erleichtert
Dieses Mal aber hat N. keine Chance, als er am Mittwoch in seiner Wohnung festgenommen wird. Auf seinem PC finden die Fahnder „belastendes Material“, möglicherweise Fotos seiner Missbrauchsopfer. Stundenlang wird N. vernommen, dann gesteht er, gibt „Täterwissen“ preis, wie Staatsanwalt Kai Thomas Breas es nennt.
Die Jagd ist zu Ende, doch das Gefühl des Triumphes will sich nicht einstellen. Wie so oft in solchen Fällen. Es ist eher ein Aufatmen, das durch die Reihen der Ermittler geht. „Wir sind erleichtert“, sagt Uwe Jordan am Freitag. Nicht nur, weil der mutmaßliche Täter gefasst ist. „Auch darüber, dass jetzt viele Angehörige und Opfer einen anderen Weg der Trauer und der Verarbeitung gehen können.“