Essen. . Die ARD-Tochter Degeto steht gemeinhin für schwer erträglichen TV-Süßstoff. Jetzt wächst das Unternehmen über sich hinaus und erfindet das Romantik-Genre neu.
Qualität und Quote eignen sich erfahrungsgemäß nicht für eine Traumhochzeit, und schon mal gar nicht in Deutschland. In Hollywood vermählen sie ab und an auf wunderbare Weise die kleine Liebesgeschichte mit den großen Gefühlen. Bei uns wird fein säuberlich getrennt. Entweder kommt der lustige Glückhase, oder man erzählt die dramatische Geschichte einer Kriegwaise, gern mit Veronica Ferres, die verhärmt um die Ecke guckt, und wenn es richtig wehtun soll, wird hemmungslos gepilchert.
So kann es nicht weitergehen, hat man sich bei der ARD gesagt. Ausgerechnet am Freitagabend, zur traditionellen Schmonzetten-Zeit, entrümpelt die Produktions-Tochter Degeto (nicht gerade verschrien für gewagte Experimente!) seit einiger Zeit mit der Reihe „Liebe am Fjord“ die muffige Gefühlswelt und wagt sich an die Quadratur des Kreises: Unterhaltung mit Tiefgang.
Beziehungskisten, ganz unsentimental
Gleich zwei Mal innerhalb von sieben Tagen lassen sich jetzt die wirklich ansehnlichen Werke besichtigen, und vor allem „Das Ende der Eiszeit“ (Freitag, ARD, 20.15 Uhr) ist ein TV-Drama von hoher Qualität. Die Reise in die norwegische Fjord-Landschaft wird von Jörg Grünler klug erzählt, ist bestens bebildert und obendrein perfekt besetzt.
Etwa mit Senta Berger, die sich seit 30 Jahren im kleinen Dorf Fjaerland um ihren autistischen Sohn kümmert (Thure Lindhardt, ganz großartig!). Nach einem Treppensturz reist ihre Tochter an, die nach der Trennung der Eltern vor einem Vierteljahrhundert keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter hatte.
Entsprechend schmerzhaft fällt das Wiedersehen aus. Tochter Annika, bravourös gespielt von Sandra Borgmann, hat eigentlich überhaupt keine Lust, den Job als Managerin eines erfolgreichen Internet-Buchhandels in Oslo aufzugeben, um Mutter und Bruder zu pflegen. Am Ende kriegen sie sich doch, das wünschen wir uns ja auch, aber wie schwer der Weg dorthin ist (und noch sein wird), unterschlägt der Film nicht.
Ähnlich stark ist „Das Meer der Frauen“ (1. April, ARD 20.15 Uhr) von Matthias Tiefenbacher. Im Mittelpunkt stehen diesmal: zwei ungleiche Schwestern.
Das Genre wird fortentwickelt
Die erfolgreiche Modedesignerin Marit (Muriel Baumeister) kehrt nach einer Karriere in London in ihr norwegisches Heimatdorf zurück. Die ältere Schwester Kristin (Susanna Simon) ist davon nicht begeistert, vor allem, weil sie ihrer Tochter verschwiegen hat, dass eigentlich Marit ihre Mutter ist.
Solch ein Drama könnte man jetzt mit düsteren Landschaftsbildern zukleistern und eine melodramatische Musiksoße drüberkübeln. „Liebe am Fjord“ widersteht dieser Versuchung, und deshalb großes Lob: Die ARD hat sich um die Fortentwicklung eines Genres verdient gemacht.