Berlin. . Es war wie im Vorjahr. Das Fernsehen, ausgerechnet, bescherte der Berlinale eine erfreuliche Überraschung. Das ARD-Projekt „Dreileben“ bringt satte Kinobilder ins Fernsehen.
Schon im vorigen Jahr machte das Fernsehen auf der Berlinale von sich reden. Die komplette Vorführung von Dominik Grafs Mehrteiler „Im Angesicht des Verbrechens“ galt vielen als das eigentliche Ereignis des Filmfestivals. Satte Kinobilder für den Bildschirm, das hat man nicht alle Tage.
Und auch in diesem Jahr hat das Fernsehen wieder für Furore gesorgt: Im Forum der am Sonntag zu Ende gegangenen Festspiele lief mit „Dreileben“ das ungewöhnliche Projekt dreier hochkarätiger Regisseure (Christian Petzold, Dominik Graf, Christoph Hochhäusler), die sich in drei 90-minütigen Fernsehfilmen einen Ort, eine Tat und eine Zeit teilen.
Ein Sexualmörder auf der Flucht
Entstanden ist diese ungewöhnliche Zusammenarbeit höchst gegensätzlicher Filmemacher durch eine umfangreiche E-Mail-Korrespondenz, die 2006 ihren Anfang nahm. Petzold (50) und Hochhäusler (38), ästhetisch der „Berliner Schule“ zugerechnet, diskutierten mit dem Münchner Veteranen Graf (58) über das Fehlen von Genre-Filmen im deutschen Kino, über die Einsamkeit einzelner Filme, über fehlende Nachbarschaft und vieles mehr. Das Fazit, einfach mal gemeinsam Filme zu versuchen, hat mit Hilfe von WDR, Bayerischem Rundfunk und Degeto nun „Dreileben“ hervorgebracht.
Die Gemeinsamkeit in allen drei Filmen ist die Flucht des Sexualmörders Molesch (Stefan Kurt), der im Krankenhaus der Gemeinde Dreileben im Thüringischen Wald eine halbe Stunde ungestört Abschied nehmen darf von seiner verstorbenen Pflegemutter. Die Gemeinsamkeit ist vor allem aber dieser Wald am Kyffhäuser, bedrohlich und dunkel wie im Märchen, in dem Molesch sich verkriecht vor den Hubschraubern und anrückenden Hundertschaften der Polizei.
Petzolds „Etwas Besseres als den Tod“ steht am Anfang und erzählt von der zarten, gesellschaftlich aber zum Scheitern verurteilten Liebe zwischen dem Klinik-Praktikanten Johannes (Jacob Matschenz) und dem osteuropäischen Zimmermädchen Ana (Luna Mijovic). Johannes ist es, der durch Unachtsamkeit Molesch die Flucht ermöglicht und dadurch letztendlich eine ungeheure Schuld auf sich lädt.
Wie immer bei Petzold sind die digitalen Bilder exakt entworfen und von einer gnadenlosen Schärfe, die den Wald noch fürchterlicher erscheinen lassen. Und ganz beiläufig erleben wir hier, wie schon die ersten Takte eines Songs Erinnerungen auslösen, die einen Menschen zerbrechen lassen können.
Dominik Grafs im Gegensatz zu Petzold sehr farbkräftiger Film „Komm mir nicht nach“ erzählt zwar von der Polizeipsychologin Jo (Jeanette Hain), die als Unterstützung nach Dreileben beordert wird, hat aber am wenigsten mit dem eigentlichen Fall zu tun. Jo schlüpft bei einer alten Freundin aus Münchner Tagen unter, die hier mit einem neuen Lebensgefährten eine alte Patriziervilla renoviert. Es geht um Vertrautheit, gemeinsame Erinnerungen – und plötzlich auch um die Entdeckung, denselben Freund zur gleichen Zeit gehabt zu haben, was die Beziehung deutlich abkühlen lässt. Hochhäuslers „Eine Minute Dunkel“ schließlich widmet sich ganz und gar der Verfolgung Moleschs, taucht dabei ganz und gar in den finsteren Tann ein und kommt mit seiner Ermittlerfigur (Marcus Kreil) dem traditionellen Krimigenre noch am nächsten.
Die ARD muss sich etwas einfallen lassen
Die drei Filme, so unterschiedlich sie auch sind, entwickeln hintereinander gesehen eine Sogwirkung, die den Zuschauer mühelos über die immerhin viereinhalb Stunden trägt. Nur so kann man unterschiedliche Motive bei ihrer Wiederkehr im nächsten Film entdecken, nur so wird der Spannungsbogen erhalten bleiben. Die ARD, die „Dreileben“ im September ausstrahlen will, wird sich da in Sachen Ausstrahlungsmodus noch etwas einfallen lassen müssen.