Kairo. . Laut Medienberichten sind bei den Unruhen bis zu 95 Menschen ums Leben gekommen. Die Proteste gegen Präsident Mubarak gehen unterdessen weiter. Von den Unruhen sind auch Urlauber betroffen. Viele von ihnen verlassen bereits das Land.
Ägyptische Soldaten haben Touristen den Zugang zu den Pyramiden versperrt. Panzer und Schützenpanzer riegelten am Samstag den Pyramidenkomplex auf dem Gizeh-Plateau ab. Das Gelände ist ein beliebtes Touristenziel.
Unterdessen gingen die Proteste gegen die Regierung weiter. Hunderte Demonstranten zogen auf die Straßen im Zentrum der Hauptstadt Kairo und forderten den Rücktritt von Staatspräsident Husni Mubarak. Einige Demonstranten griffen Polizisten an.
Die Demonstranten in Ägypten geben sich mit nicht weniger als der Entmachtung des Präsidenten Husni Mubarak zufrieden. „Wir wollen, dass Mubarak geht, nicht nur die Regierung“, sagte Demonstrant Mohammed Mahud. „Wir werden nicht aufhören zu demonstrieren, bis er geht.“ Einige der Demonstranten trugen T-Shirts mit der Aufschrift „Nieder mit Mubarak“. Gebäude, Statuen und selbst gepanzerte Fahrzeuge der Sicherheitskräfte wurden von den Protestierenden mit Graffiti versehen. Einer davon hieß ursprünglich „Mubarak muss fallen“. Am Samstagmorgen war er womöglich etwas voreilig überschrieben mit „Mubarak ist gefallen“.
Die Demonstranten in Ägypten geben sich nicht mit der Entlassung der Regierung durch Präsident Mubarak zufrieden. Erneut gingen am Samstag Hunderte Menschen auf die Straßen, um gegen die Regierung zu demonstrieren, die sie für Armut, Arbeitslosigkeit und Korruption verantwortlich machen. Die seit fünf Tagen anhaltenden Proteste sind die Umfangreichsten seit mindestens einem Jahrzehnt. Bei den Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sind nach offiziellen Angaben seit Freitag 38 Menschen ums Leben gekommen, darunter auch zehn Polizisten.
Bislang war von offizieller Seite stets von acht Toten die Rede. Damit sind seit Beginn der Proteste mindestens 45 Menschen ums Leben gekommen. Weiter hieß es, dass mindestens 750 Polizisten und 1.500 Demonstranten verletzt worden seien. Der TV-Sender Al Jazeera berichtet von bis 95 Todesopfern.
Neue Zusammenstöße am Samstag
Hunderte Menschen drängten am Samstag auf den zentralen Tahrir-Platz in Kairo. Dabei kam es erneut zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. Der von Präsident Mubarak verfügte Rücktritt der Regierung konnte die Lage nicht beruhigen. Bei ihrem Versuch, auf den Tahrir-Platz vorzudringen, griffen die Demonstranten die Sicherheitskräfte auch mit Steinen an. Die Polizei reagierte mit dem Einsatz von Tränengas, Schlagstöcken und Gummigeschossen. An dem Platz waren einige Panzer stationiert, die Soldaten gingen aber nicht gegen die Menge vor. Nicht weit von dem Platz entfernt hat die Armee die Straße, die zum Parlament und zu einigen Ministerien führt, abgeriegelt.
Unruhen in Arabien
Als erste Reaktion auf die tagelangen Proteste gegen seine autoritäre Regierungsführung hatte Mubarak wenige Stunden zuvor die Entlassung des Kabinetts und Reformen angekündigt. Auf die zentrale Forderung von Zehntausenden Demonstranten, nach rund 30 Jahren das Präsidentenamt abzugeben, ging der 82-Jährige in seiner ersten Fernsehansprache seit Beginn der Demonstrationen in dieser Woche nicht ein.
In seiner Ansprache in der Nacht auf Samstag sagte Mubarak demokratische und wirtschaftliche Reformen zu. Arbeitslosigkeit, Armut und Korruption würden bekämpft. Der Staat werde aber entschieden gegen Gewalt vorgehen. „Gewalt löst nicht unsere Probleme und verwirklicht auch keines der Ziele, die wir anstreben“, sagte der Präsident. „Ich werde nicht davor zurückscheuen, jede Maßnahme zu ergreifen, die die Sicherheit eines jeden Ägypters gewährleistet.“
Mobilfunknetze teilweise wieder verfügbar
Der Zugang zum Mobilfunknetz in Ägypten wurde am Samstagmorgen teilweise wiederhergestellt. Einen Zugang zum Internet gab es aber weiterhin nicht. Rund 24 Stunden nach dem Beginn des Blackouts war das Netz der Mobilfunkanbieter Vodafone und Mobinil wieder verfügbar; Netze anderer Betreiber blieben tot. Um den Informationsfluss unter den Demonstranten zu stören, kappten die ägyptischen Behörden in der Nacht zum Freitag offenbar den Datenverkehr.
Auch ohne Internet und Mobilfunkdienste hatten die Kundgebungen gegen Mubaraks Machtapparat in Kairo und anderen Städten nach dem Freitagsgebet am Mittag einen neuen Höhepunkt erreicht. Zehntausende gingen auf die Straße.
Nach Angaben von Sicherheitskräften brannten die Demonstranten etliche Polizeiwachen in Kairo und in anderen Städten nieder, stahlen Munition und Waffen und befreiten Inhaftierte. Außerdem sei es zu Plünderungen gekommen. Aus Sicherheitskreisen verlautete, es habe Proteste in mindestens elf der 28 Provinzen gegeben. In Städten wie Alexandria, Suez, Assiut und Port Said sei es zu Unruhen gekommen.
ElBaradei unter Hausarrest
Der Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei hatte sich am Freitag den Demonstranten in Kairo angeschlossen; später stellten die ägyptischen Behörden ElBaradei unter Hausarrest.
Mubarak rechtfertigte das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte. Die Proteste seien „Teil eines größeren Plans, die Stabilität und die Rechtmäßigkeit“ des politischen Systems zu erschüttern. Er habe Anweisung gegeben, den Demonstranten zu erlauben, ihre Meinung auszudrücken. Akte der Gewalt und des Vandalismus hätten die Sicherheitskräfte gezwungen, die Ordnung wiederherzustellen.
Die Demonstranten ignorierten ein nächtliches Ausgehverbot. Zur Durchsetzung des Ausgehverbots fuhren am frühen Abend auch Panzerfahrzeuge der Streitkräfte auf. Polizisten wurden während der Unruhen mit Brandsätzen und Steinen angegriffen, die Zentrale der regierenden Nationalen Demokratischen Partei ging in Flammen auf - auch am Samstag stiegen von dem Gebäude noch Rauchfahnen auf. Während Plünderer Fernsehgeräte, Ventilatoren und Stereoanlagen aus dem Gebäude holten, schützten Demonstranten das benachbarte Ägyptische Museum mit einer Menschenkette. Das Museum ist eine der populärsten Touristenattraktionen in Kairo und beherbergt die größten archäologischen Schätze des Landes.
Hamsterkäufe in Kairo
Die ägyptische Fluggesellschaft Egypt Air stellte für mindestens zwölf Stunden den Flugverkehr ein. Mehrere internationale Airlines hätten ihre Verbindungen nach Kairo vorerst gestrichen, teilte ein Sprecher des Flughafens mit. Zwischen 1.500 und 2.000 Einheimische und Touristen kamen am Samstag auf der Suche nach einem Weg aus dem Land auf den Flughafen von Kairo, die meisten von ihnen ohne Reservierungen. Ein Vertreter der israelischen Fluggesellschaft El Al erklärte, man bemühe sich derzeit, einen Sonderflug zu arrangieren, um rund 200 israelische Touristen auszufliegen.
In Kairo kam es unterdessen zu Hamsterkäufen: Vor einigen Supermärkten bildeten sich Schlangen. Der Kauf von Brot wurde auf zehn Laibe pro Person beschränkt.
US-Präsident Barack Obama forderte in einem halbstündigen Telefonat mit Mubarak, Ägypten müsse „konkrete Schritte“ zu Reformen einleiten. Obama habe die ägyptischen Behörden aufgerufen, keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten anzuwenden, teilte das Weiße Haus mit. Der Pressesprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, hatte zuvor erklärt, die US-Regierung erwäge eine Kürzung der Auslandshilfe in der Höhe von jährlich 1,5 Milliarden Dollar (1,1 Milliarden Euro), sollte Mubarak keine entsprechenden Schritte einleiten.
Unzufriedenheit über Mubaraks Rede
Mitglieder der Protestbewegung reagierten unzufrieden auf Mubaraks Rede. „Wir wollen, dass Mubarak geht, aber stattdessen gräbt er sich tiefer ein“, sagte ein Demonstrant, Kamal Mohammed. „Er denkt, er beruhige die Situation, aber er verärgert die Menschen immer mehr.“ Der Journalist Faiza Hendawi sagte: „Mubarak hat nicht eine Forderung der Demonstranten erfüllt und das Volk wird weiter demonstrieren. Er denkt, er könne uns beruhigen, indem er mit uns spricht. Er versteht nicht, dass dies eine Revolution ist.“
Auf einer Facebook-Seite hatten Mitglieder der Protestbewegung ihre Forderungen aufgelistet. Sie verlangen von Mubarak eine Erklärung, dass weder er noch sein Sohn Gamal bei der Präsidentenwahl im September antreten. Das Parlament solle aufgelöst und eine Neuwahl angesetzt werden. Der Ausnahmezustand müsse aufgehoben werden und alle festgenommenen Demonstranten sowie ohne Anklage oder Prozess inhaftierten Gefangenen seien freizulassen. Zudem müsse der Innenminister sofort entlassen werden. (ap/dapd)