Kairo. .
Die Unruhen in Kairo haben in der Nacht zum Samstag einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die Armee griff ein, es gab zahlreiche Tote und Verletzte. Unterdessen kündigte Ägyptens Präsident Hosni Mubarak in einer Ansprache Reformen statt seinen Rücktritt an.
Trotz der schwersten Proteste seit seinem Amtsantritt vor drei Jahrzehnten hält Ägyptens Präsident Husni Mubarak weiter an seiner Macht fest. In einer Fernsehansprache kündigte der 82-Jährige in der Nacht zum Samstag lediglich die Bildung einer neuen Regierung und Reformen an. Den Demonstranten gingen diese Zusagen jedoch nicht weit genug, sie gingen in zahlreichen Städten trotz Ausgangssperre erneut auf die Straße.
Nach tagelangem Schweigen äußerte sich Mubarak in der nächtlichen Fernsehansprache erstmals zu den Protesten, die seit Dienstag das Land erschüttern. „Ich habe die Regierung gebeten, zurückzutreten“, sagte der Präsident mit ernster Miene. Er wolle noch am Samstag ein neues Kabinett einsetzen. Zugleich versprach der 82-Jährige politische und wirtschaftliche Reformen.
„Wir werden vor Reformen nicht zurückschrecken“, sagte Mubarak. Es werde mehr Freiheiten für die Bevölkerung und eine unabhängige Justiz geben. Zudem sicherte Mubarak „neue Maßnahmen“ für die Durchsetzung der Demokratie zu und versprach ein entschiedeneres Vorgehen gegen Armut und Arbeitslosigkeit.
Unzufrieden mit Mubaraks Rede
„Es ist uns egal, ob die Regierung ihren Rücktritt einreicht, wir wollen, dass er zurücktritt“, sagte der 22-jährige Demonstrant Chaled in Alexandria, wo wie in der Hauptstadt Kairo und anderen Städten die Proteste gegen Mubarak weitergingen. Neben einem Rücktritt des Präsidenten fordern die Demonstranten ein Ende von Korruption und Polizeigewalt. Die Rede Mubaraks habe die Probleme des Landes nicht gelöst, kritisierte der Student Abdo.
Weitere Mitglieder der Protestbewegung reagierten unzufrieden auf Mubaraks Rede. „Wir wollen, dass Mubarak geht, aber stattdessen gräbt er sich tiefer ein“, sagte ein Demonstrant, Kamal Mohammed. „Er denkt, er beruhige die Situation, aber er verärgert die Menschen immer mehr.“ Der Journalist Faiza Hendawi sagte: „Mubarak hat nicht eine Forderung der Demonstranten erfüllt und das Volk wird weiter demonstrieren. Er denkt, er könne uns beruhigen, indem er mit uns spricht. Er versteht nicht, dass dies eine Revolution ist.“
Auf einer Facebook-Seite listeten Mitglieder der Protestbewegung ihre Forderungen auf. Sie verlangen von Mubarak eine Erklärung, dass weder er noch sein Sohn Gamal bei der Präsidentenwahl im September antreten. Das Parlament solle aufgelöst und eine Neuwahl angesetzt werden. Der Ausnahmezustand müsse aufgehoben werden und alle festgenommenen Demonstranten sowie ohne Anklage oder Prozess inhaftierten Gefangenen seien freizulassen. Zudem müsse der Innenminister sofort entlassen werden.
Mehr als 1.000 Verletzte
Nach dem Freitagsgebet am Mittag hatten die Kundgebungen gegen Mubaraks Machtapparat in Kairo und anderen Städten einen neuen Höhepunkt erreicht. Zehntausende gingen auf die Straße, es gab Zusammenstöße zwischen Demonstranten und der Bereitschaftspolizei. Aus Sicherheitskreisen verlautete, es habe Proteste in mindestens elf der 28 Provinzen gegeben. In Städten wie Alexandria, Suez, Assiut und Port Said sei es zu Unruhen gekommen. Der arabische Fernsehsender Al Dschasira meldete in Kairo 1.030 Verletzte, in Suez habe es elf Tote und 170 Verletzte gegeben. Den Sicherheitskreisen zufolge gab es mindestens einen Toten, in dieser Woche seien bei Zusammenstößen insgesamt acht Menschen getötet worden.
Der Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei hatte sich am Freitag den Demonstranten in Kairo angeschlossen. Er wurde von einem Wasserwerfer getroffen und suchte Zuflucht in einer Moschee. Später stellten die ägyptischen Behörden ElBaradei unter Hausarrest.
Unruhen in Arabien
Mubarak rechtfertigte das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte, die im Laufe des Tages von Soldaten verstärkt wurden. Die Proteste seien „Teil eines größeren Plans, die Stabilität und die Rechtmäßigkeit“ des politischen Systems zu erschüttern. Er habe Anweisung gegeben, den Demonstranten zu erlauben, ihre Meinung auszudrücken. Akte der Gewalt und des Vandalismus hätten die Sicherheitskräfte gezwungen, die Ordnung wiederherzustellen.
Demonstranten waren den ganzen Tag auf die Straßen Kairos geströmt. Sie ignorierten ein nächtliches Ausgehverbot und ließen sich auch nicht von Maßnahmen wie dem Abschalten der Internet- und Mobiltelefondienste aufhalten. Zur Durchsetzung des Ausgehverbots fuhren am frühen Abend auch Panzerfahrzeuge der Streitkräfte auf. Polizisten wurden während der Unruhen mit Brandsätzen und Steinen angegriffen, die Zentrale der regierenden Nationalen Demokratischen Partei ging in Flammen auf. Während Plünderer Fernsehgeräte, Ventilatoren und Stereoanlagen aus dem Gebäude holten, schützten Demonstranten das benachbarte Ägyptische Museum mit einer Menschenkette. Das Museum ist eine der populärsten Touristenattraktionen in Kairo.
Hamsterkäufe und Einstellung des Flugverkehrs
Die ägyptische Fluggesellschaft Egypt Air stellte für mindestens zwölf Stunden den Flugverkehr ein. Mehrere internationale Airlines hätten ihre Verbindungen nach Kairo vorerst gestrichen, teilte ein Sprecher des Flughafens mit. In Kairo kam es unterdessen zu Hamsterkäufen: Vor einigen Supermärkten bildeten sich Schlangen. Der Kauf von Brot wurde auf zehn Laibe pro Person beschränkt.
US-Präsident Barack Obama forderte in einem halbstündigen Telefonat mit Mubarak, Ägypten müsse „konkrete Schritte“ zu Reformen einleiten. Obama habe die ägyptischen Behörden aufgerufen, keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten anzuwenden, teilte das Weiße Haus mit. Die USA würden weiterhin für die Rechte des ägyptischen Volkes einstehen, habe Obama versichert. Die derzeitige Phase der Unsicherheit müsse in eine Gelegenheit zur Reform transformiert werden. Der Pressesprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, hatte zuvor erklärt, die US-Regierung erwäge eine Kürzung der Auslandshilfe in der Höhe von jährlich 1,5 Milliarden Dollar (1,1 Milliarden Euro), sollte Mubarak keine entsprechenden Schritte einleiten.
US-Regierung in Sorge
US-Präsident Barack Obama rief Mubarak auf, seine Reformversprechen einzulösen und der Bevölkerung das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit einzuräumen. Sein ägyptischer Kollege trage die Verantwortung dafür, seinen „Worten eine Bedeutung“ zu verleihen, sagte Obama nach einem Telefonat mit Mubarak im Anschluss an dessen Fernsehansprache. Zugleich rief der US-Präsident die Behörden auf, keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten anzuwenden.
Die ägyptische Regierung ist der wichtigste Verbündete der USA in der arabischen Welt. Zugleich ist Ägypten einer der größten Empfänger von US-Hilfszahlungen. Allein die Armee des Landes erhielt aus Washington vergangenes Jahr Hilfe in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar (0,95 Milliarden Euro). Die weiteren Zahlungen knüpft die US-Regierung inzwischen an das Verhalten der Sicherheitskräfte bei den Demonstrationen.
Die Proteste in Ägypten waren am Freitag eskaliert. Landesweit starben bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei mindestens 20 Menschen. Demonstranten zündeten Fernsehbildern zufolge den Sitz der Regierungspartei in Kairo an. Zuvor brannte bereits in Alexandria der Sitz des dortigen Gouverneurs. Seit Dienstag wurden insgesamt 27 Menschen bei den Protesten getötet. (ap/afp)