Kairo. . Nach den bislang schwersten Auseinandersetzungen in Ägypten haben zahlreiche Politiker die ägyptische Regierung zum Gewaltverzicht aufgerufen. Ärzte sprechen unterdessen von 20 Toten und über 1000 Verletzten.
Die Zahl der Toten und Verletzten bei den schweren Zusammenstößen in Ägypten sind Kreisen zufolge höher als bislang mitgeteilt. Mindestens 20 Menschen kamen nach Angaben von Ärzten und Augenzeugen ums Leben. In Suez östlich von Kairo starben bei Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften 13 Menschen. Zudem seien im Großraum Kairo etwa 1030 Menschen verletzt worden, hieß es.
Zuletzt hatte es in Ärztekreisen geheißen, bei den den Zusammenstößen in Kairo seien mindestens fünf Menschen getötet und etwa 870 verletzt worden. Einige der Verletzten hätten Schusswunden. Auch Polizisten seien unter den Verletzten, hatte es geheißen. Über mögliche Opfer in Suez hatte es zunächst keine Angaben gegeben. Dort waren am Abend nach Ausschreitungen Panzer aufgefahren. Auf den Straßen Kairos demonstrierten trotz der bereits geltenden Ausgangssperre weiterhin tausende Menschen.
Ausgangssperre gilt nicht für das gesamte Land
Die ägyptische Nachrichtenagentur Mena hat am Freitagabend eine Meldung über die Ausdehnung der Ausgangssperre auf das gesamte Land zurückgezogen. Auch das Staatsfernsehen, das die Erweiterung der Maßnahme ursprünglich angekündigt hatte, sprach nur noch von einer Ausgangssperre, die für den Großraum Kairo sowie für die Städte Alexandria und Suez gelte. Die drei Städte waren am Freitag die Hauptschauplätze regierungskritischer Demonstrationen. Ein entsprechendes Dekret über die Ausgangssperre erließ nach Angaben des Staatsfernsehens Präsident Husni Mubarak.
Politiker fordern Gewaltverzicht
Nach den bislang schwersten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften in Ägypten haben am Freitag zahlreiche Politiker die ägyptische Regierung zum Gewaltverzicht aufgerufen. Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos die ägyptische Regierung auf, friedliche Demonstrationen zuzulassen. Die Stabilität von Ägypten sei äußerst wichtig, aber nicht auf Kosten der freien Meinungsäußerung, sagte Merkel.
Unruhen in Arabien
US-Präsident Barack Obama rief nach der Verschärfung der Lage in Ägypten sein nationales Sicherheitsteam zu einer Sondersitzung zusammen. An dem Treffen nahmen am Freitag unter anderem Vize-Präsident Joe Biden und Obamas Nationaler Sicherheitsberater Tom Donilon teil. Nach Angaben von Regierungsberatern waren im Laufe des Tages weitere Sitzungen geplant.
Zuvor hatte Obama in einem vom Videoportal YouTube übertragenen Interview politische und wirtschaftliche Reformen in Ägypten angemahnt. Er nannte das nordafrikanische Land einen wichtigen Verbündeten. Obama erklärte jedoch auch, die Demonstrationen gegen die ägyptische Regierung in den vergangenen Tagen zeigten die Unzufriedenheit der Bevölkerung. „Es ist ausgesprochen wichtig, dass die Menschen über die Möglichkeit verfügen, berechtigte Beschwerden zu äußern“, sagte Obama.
UN-Generalsekretär Ban kritisiert Internetzensur
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kritisierte auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos die Internetzensur in Ägypten. Die ägyptische Regierung ließ in der Nacht zum Freitag praktisch alle Verbindungen ins Ausland kappen. Ban sagte, er habe die Vorkommnisse in Tunesien, Ägypten und Jemen verfolgt. „Ich glaube, eines der obersten Gebote der Demokratie sollte der Schutz der Redefreiheit der Bürger sein.“
US-Außenministerin Hillary Clinton appellierte an die ägyptischen Behörden, die Rechte der ägyptischen Bürger zu respektieren. Sie rief sowohl die ägyptische Regierung als auch die Demonstranten zur Ruhe auf. Die Regierung müsse jeglichen Vorwürfen der Brutalität durch Sicherheitskräfte gegen Demonstranten nachgehen, forderte Clinton. Die Behörden rief sie auf, den Zugang zum Internet wieder zu ermöglichen.
„Wir sind sehr besorgt über den Einsatz von Gewalt durch ägyptische Polizisten und Sicherheitskräfte gegen Demonstranten und rufen die ägyptische Regierung auf, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um die Sicherheitskräfte zurückzuhalten“, sagte Clinton. Sie appellierte auch an die Demonstranten, sich friedlich zu verhalten.
Auswärtiges Amt besorgt über Lage in Ägypten
Auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), kritisierte das gewaltsame Vorgehen der ägyptischen Polizei gegen Demonstranten. Er sprach am Freitag in Berlin von einem Schlag ins Gesicht für alle, die für Menschen- und Bürgerrechte in Ägypten eintreten. „Die Menschen in Ägypten nehmen ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahr.“
Das Auswärtige Amt in Berlin sieht die Entwicklung in Ägypten angesichts der eskalierenden Lage in Kairo und anderen Städten mit großer Sorge. Die Situation in den Touristenregionen an der Küste sei nach bisherigen Erkenntnissen jedoch weiterhin ruhig, teilte das Auswärtige Amt am Freitagabend mit.
Das Auswärtige Amt rät angesichts der gewaltsamen Proteste in Ägypten von Reisen in die größeren Städte des Landes ab. Die Demonstrationen richteten sich zwar nicht gegen Touristen, hieß es auf der Internet-Seite des Amtes am Freitagabend. "Von nicht unbedingt notwendigen Reisen nach Kairo, Alexandria und Suez sollte derzeit dennoch Abstand genommen werden." Reisenden in Ägypten werde dringend empfohlen, Menschenansammlungen und Demonstrationen weiträumig zu meiden und die örtliche Medienberichterstattung aufmerksam zu verfolgen.
Proteste eskaliert
In Ägypten sind die Proteste gegen die Regierung von Präsident Husni Mubarak am Freitag eskaliert. Aufgebrachte Demonstranten zündeten Fernsehbildern zufolge den Sitz der Regierungspartei in Kairo an, zuvor brannte bereits in Alexandria der Sitz des dortigen Gouverneurs. Mubarak, dessen Rücktritt am Freitag hunderttausende Menschen forderten, dehnte die nächtliche Ausgangssperre auf das ganze Land aus.
Laut Staatsfernsehen erließ Mubarak ein entsprechendes Dekret, nachdem zuvor bereits eine Ausgangssperre für den Großraum Kairo sowie die Städte Suez und Alexandria erlassen wurde. Mubarak, dessen Rücktritt die Demonstranten forderten, wies die Armee an, die Polizei zu unterstützen.
Der Telekommunikationskonzern Vodafone teilte mit, alle Mobilfunkunternehmen seien angewiesen worden, ihre Dienste landesweit auszusetzen. Die Internet-Verbindungen waren praktisch komplett lahmgelegt, wie eine AFP-Umfrage in Hotels und bei Nutzern ergab.
Taxifahrer erschossen, viele Verletzte
Landesweit gingen hunderttausende Menschen nach dem Freitagsgebet auf die Straßen und lieferten sich teils schwere Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Viele Demonstranten warfen Steine, die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer gegen sie ein. Im Zentrum der Hauptstadt Kairo wurden dutzende Menschen bei Ausschreitungen verletzt. „Die Polizisten haben uns geschlagen“, sagte ein junger Zahnarzt. Ein anderer junger Mann sagte, im Zentrum habe es 60 Verletzte gegeben. In der Hafenstadt Alexandria setzten regierungskritische Demonstranten den Sitz des Gouverneurs in Flammen.
Bei Zusammenstößen mit der Polizei in Suez östlich von Kairo wurde laut Augenzeugen zudem ein Taxifahrer erschossen. Damit stiege die Zahl der Toten seit Beginn der Proteste am Dienstag auf mindestens acht.
ElBaradei festgesetzt
An den Protesten nahm erstmals auch der Oppositionelle Mohamed ElBaradei teil. Im Anschluss an ein Freitagsgebet vor einer Moschee in Kairo riefen Teilnehmer lautstark „Nieder mit Mubarak“, die Polizei ging mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Tränengas gegen sie vor. ElBaradei flüchtete sich in die Moschee, aus der er nicht mehr heraus durfte. Er forderte ein Ende von Gewalt, Verhaftungen und Folter durch die Sicherheitskräfte.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rief Mubarak dazu auf, friedliche Demonstrationen zuzulassen. Sie forderte beim Weltwirtschaftsforum in Davos außerdem ein Ende der Gewalt in Ägypten. Das Auswärtige Amt riet von nicht unbedingt notwendigen Reisen nach Ägypten ab. Laut deutschem Reiseverband sagten mehrere Veranstalter Ausflüge nach Kairo für Freitag ab.
Auch in Tunesien hielten die Proteste am Freitag an. Vor dem Sitz von Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi kam es erneut zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Regierungsgegnern, mindestens fünf Menschen wurden verletzt. Die Polizei schoss Tränengas in die Menge, nachdem Demonstranten Steine auf die Sicherheitskräfte geworfen hatten. Die Polizei räumte das Regierungsviertel.
Lufthansa streicht Flug wegen Ausgangssperre
Die gewaltsamen Proteste in Ägypten beeinträchtigen auch den internationalen Luftverkehr. Die Lufthansa habe wegen der von der Regierung verhängten Ausgangssperre einen Flug am Samstagmorgen von Kairo nach Frankfurt gestrichen, sagte ein Firmensprecher am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters. „Angesichts der Ausgangssperre wäre es müßig, auf Fluggäste zu warten“, erklärte er. Der Flug hätte planmäßig um 04.50 Uhr abheben sollen, die ägyptische Regierung hat jedoch bis 07.00 Uhr Ortszeit (06.00 MEZ) eine Ausgangssperre verhängt.
Air Berlin hat einen Flug, der am Freitagabend aus München starten sollte und während den frühen Morgenstunden in Kairo gelandet wäre, um neun Stunden verschoben. Deutschlands zweitgrößte Airline fliegt in Ägypten darüber hinaus noch die Urlaubsziele Hurghada, Luxor, Marsa Alam und Scharm al-Scheik an. Für Samstag seien insgesamt 22 Hin- und Rückflüge angesetzt, sagte ein Sprecher. „Die Flüge werden nach derzeitigem Stand planmäßig stattfinden, zumal die Ferienziele von den Unruhen nicht betroffen sind.“
Sein Lufthansa-Kollege erklärte, auch der Betrieb am Flughafen in Kairo, der außerhalb des Stadtzentrums liegt, laufe nach bisherigen Erkenntnissen normal. Ob zwei für Samstag geplante Lufthansa-Flüge von München und Frankfurt nach Kairo starten werden, sei jedoch noch nicht entschieden. „Das ist abhängig von der weiteren Entwicklungen in Ägypten.“ (dapd/Reuters/afp)