Kairo. .
Die Zentrale der ägyptischen Regierungspartei in Kairo brennt. Das meldete das Staatsfernsehen. Offenbar hatten aufgebrachte Demonstranten das Gebäude in Brand gesetzt. Erstmals seit Ausbruch der Unruhen im Land ließ die Regierung das Militär auf den Straßen aufmarschieren, um das von Präsident Husni Mubarak verhängte Ausgehverbot durchzusetzen. Nach dem Beginn der Ausgangssperre in Ägypten sind im Zentrum der Haupstadt Kairo Schüsse gefallen. In anderen Städten gingen Reifen und Streifenwagen in Flammen auf.
Mubarak hat das nächtliche Ausgehverbot ausgeweitet. Es gelte nun ein landesweites Ausgehverbot, berichtete das ägyptische Staatsfernsehen. Zuvor hatte das Verbot nur für die Städte Kairo, Alexandria und Suez gegolten. Die Ausgangssperre gelte von 18 bis 7 Uhr (jeweils Ortszeit; 17.00 Uhr MEZ bis 06.00 Uhr MEZ). Staatschef Husni Mubarak wies die Armee demnach an, die Polizei bei der Wahrung der Sicherheit zu unterstützen.
Bei den massiven Protesten gegen die Regierung in Ägypten ist am Freitag Augenzeugen zufolge ein Mensch getötet worden. Bei Zusammenstößen mit der Polizei in der Stadt Suez östlich von Kairo sei ein Taxifahrer erschossen worden, berichteten die Zeugen. Demnach starb der etwa 30 Jahre alte Mann, als die Sicherheitskräfte versuchten, eine Kundgebung mit tausenden Menschen aufzulösen. Die Demonstranten hätten dabei mehrere Polizeifahrzeuge und einen Polizeiposten angezündet. Demonstranten seien darauf in das Gebäude eingedrungen und hätten sich der dort gelagerten Waffen bemächtigt.
Dutzende Verletzte
Im Zentrum der Hauptstadt Kairo wurden dutzende Menschen bei Ausschreitungen verletzt, wie ein AFP-Journalist berichtete. Mehrere Menschen kamen am Opern-Platz blutüberströmt von Auseinandersetzungen mit der Polizei zurück. "Die Polizisten habe uns geschlagen", sagte der junge Zahnarzt Mustafa Sabag der Nachrichtenagentur AFP. Seine Hose war zerrissen, er trug einen provisorischen Verband, der mit Blut getränkt war. Ein anderer junger Mann sagte, im Zentrum habe es 60 Verletzte gegeben. Sie würden nach und nach mit Krankenwagen abtransportiert.
Mit dem Toten in Suez wären bei den seit Dienstag anhaltenden Protesten insgesamt acht Menschen gestorben, unter ihnen zwei Polizisten.
Die ägyptische Polizei ist in Kairo mit Gummigeschossen, Tränengas und Wasserwerfern gegen Tausende Demonstranten vorgegangen, die nach den Freitagsgebeten gegen die fast 30-jährige Herrschaft von Staatspräsident Husni Mubarak protestierten. Die Polizei setzte auch Wasserwerfer gegen Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei und seine Anhänger an, die sich den Protesten angeschlossen hatten. Gegen einige seiner Anhänger, die ElBaradei schützen wollten, wurden auch Schlagstöcke eingesetzt. Internet und Mobilfunkverbindungen waren unterbrochen.
Der kürzlich in seine Heimat zurückgekehrte ElBaradei, ehemals Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), und seine Anhänger schlossen sich den Demonstrationen nach dem Freitagsgebet an. Von Wasserwerfern getroffen, zog sich ElBaradei in eine Moschee zurück. Sie wurde von Sondereinsatzkräften der Polizei belagert. In umliegenden Straßen feuerten die Beamten Tränengas ab, so dass niemand die Moschee verlassen konnte. Die Tränengasbehälter setzten mehrere Autos in Brand, mehrere Menschen erlitten Verbrennungen.
Unterstützt wurden die Proteste auch von der größten Oppositionsbewegung, der Muslimbruderschaft. Die Muslimbruderschaft erklärte, fünf ihrer Führer und fünf frühere Abgeordnete, aber auch viele normale Mitglieder seien festgenommen worden. Proteste wurden auch aus Alexandria, Minja, Assiut und Al Arisch gemeldet.
Internet abgeschaltet
Die vier großen Internetprovider - Link Egypt, Vodafone/Raya, Telecom Egypt und Etisalat Misr - stoppten den Datenverkehr kurz nach Mitternacht. Die Störung hielt bis zum Vormittag an, auch SMS-Dienste waren gestört. Nach Angaben von Vodafone ordneten die Behörden die Abschaltung des Mobilfunknetzes in bestimmten Teilen des Landes an. Davon seien alle in Ägypten tätigen Mobilfunkkonzerne betroffen. Nach ägyptischem Recht könnten die Behörden dies anordnen.
Seit den frühen Morgenstunden war der Internetzugang in Ägypten weitgehend abgeschaltet. Damit versuchten die Behörden offenbar, die Organisation von Protesten zu erschweren. Ägypter im Ausland gaben aber weiter nach Telefonaten mit Angehörigen oder Freunden Updates über Twitter heraus. Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter haben eine wichtige Rolle bei Information und Koordination der Proteste gegen Mubarak gespielt - ähnlich wie in Tunesien, wo Präsident Zine El Abidine Ben Ali nach 23 Jahren autoritärer Herrschaft am 14. Januar vor einer Volksbewegung ins Exil floh.
Unruhen breiten sich aus
Die wichtigste Frage in Ägypten dürfte sein, ob es der zersplitterten Opposition gelingt, sich zu einen. Die Proteste schienen am Donnerstag an Schwung zu gewinnen, nachdem die Muslimbruderschaft ihre Unterstützung bekundet hatte und ElBaradei nach Ägypten zurückgekehrt war.
Unruhen in Arabien
Der 82-jährige Mubarak ist seit den ersten Demonstrationen am vergangenen Dienstag nicht in der Öffentlichkeit aufgetreten. Damals gingen in Kairo und anderen Städten Zehntausende gegen den Präsidenten auf die Straße. Am Donnerstag eskalierte außerhalb der Hauptstadt die Gewalt. In Suez steckten Demonstranten eine Feuerwache in Brand und plünderten Waffen, die sie gegen Polizisten richteten. Im nördlichen Sinai bei Scheik Suweid gab es einen Schusswechsel zwischen mehreren hundert Beduinen und Polizisten, ein 17-Jähriger wurde dabei getötet.
Obama drängt auf Reformen in Ägypten
US-Präsident Barack Obama mahnte in einem vom Videoportal YouTube übertragenen Interview politische und wirtschaftliche Reformen in Ägypten an. Er nannte das nordafrikanische Land einen wichtigen Verbündeten. Obama erklärte jedoch auch, die Demonstrationen gegen die ägyptische Regierung in den vergangenen Tagen zeigten die Unzufriedenheit der Bevölkerung. „Es ist ausgesprochen wichtig, dass die Menschen über die Möglichkeit verfügen, berechtigte Beschwerden zu äußern“, sagte Obama. „Präsident Mubarak war sehr hilfsbereit bei zahlreichen schwierigen Themen im Nahen Osten“, sagte Obama. „Aber ich habe ihm auch immer gesagt, dass politische und wirtschaftliche Reformen entscheidend für das langfristige Wohl Ägyptens sind.“
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kritisierte auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos die Internetzensur in Ägypten. Ban sagte, er habe die Vorkommnisse in Tunesien, Ägypten und Jemen verfolgt. „Ich glaube, eines der obersten Gebote der Demokratie sollte der Schutz der Redefreiheit der Bürger sein.“
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), kritisierte das gewaltsame Vorgehen der ägyptischen Polizei gegen Demonstranten. Er sprach am Freitag in Berlin von einem Schlag ins Gesicht für alle, die für Menschen- und Bürgerrechte in Ägypten eintreten. „Ich fordere die ägyptische Führung auf sicherzustellen, dass keine weitere Gewalt gegen Demonstranten angewendet wird. Die Menschen in Ägypten nehmen ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahr.“ (dapd)
Hier geht es zu einem Video auf dem Online-Portal Youtube zu den Unruhen.