Lörrach. .
Wer war die Frau, die am Sonntag ihr Kind, ihren getrennt lebenden Ehemann und einen Krankenpfleger getötet hat? Die Polizei tappt noch im Dunklen. „Sie wirkte etwas niedergeschlagen“, sagen Nachbarn.
Als nett beschreibt ein Nachbar die 41 Jahre alte Rechtsanwältin aus Lörrach, die die südbadische Stadt durch ihren Amoklauf am Sonntagabend schockiert hat. Im Treppenhaus des Anwesens in der Markus-Pflüger-Straße 22 sei er ihr öfter begegnet. „Sie war sehr offen zu anderen, hat mit anderen Bewohnern geredet“, erinnert sich der 30-Jährige. Doch in letzter Zeit wirkte die 41-Jährige auf ihn „etwas niedergeschlagen“. „Das lag wohl an ihrer familiären Situation und der Trennung von ihrem Mann“, mutmaßt der Nachbar.
Im Dezember 2009 machte sich die Frau mit ihrer Anwaltskanzlei selbstständig, zuvor hatte sie in einem Privatunternehmen gearbeitet. Im Juni dieses Jahres trennten sich die Rechtsanwältin und ihr 44-jähriger Ehemann. Die Frau wohnte allein, das Kind lebte beim Vater, der als Schreiner tätig war, und kam manchmal zu Besuch. Einen Sorgerechtsstreit soll es laut Ermittlern nicht gegeben haben, dazu sei die Trennung noch zu frisch gewesen. Ein Besuchsrecht sei vereinbart gewesen. Der 30-jährige Nachbar lebt direkt über der Wohnung, in der die 41-jährige wohnte und gleichzeitig ihre Kanzlei hatte. Laute Worte oder Streit habe es nie gegeben. „Es ist für mich schockierend zu hören, dass ein normaler Mensch zu solch einer Tat fähig ist“, sagt er.
Besonders rätselhaft an dem Amoklauf erscheint, dass die 41-Jährige, nachdem sie ihren Ehemann und wahrscheinlich auch ihr Kind getötet und die Wohnung in Brand gesetzt hatte, in das nahe gelegene Elisabethenkrankenhaus auf die gynäkologische Abteilung ging. Die Ermittler fanden heraus, dass die Frau dort 2004 eine Fehlgeburt erlitten hatte. Ob das negative Erlebnis ein Grund dafür ist, dass sie sich erneut dorthin begab, konnten die Beamten aber nicht beantworten. Im Krankenhaus schoss die Amokläuferin nach Angaben der Polizei auch auf ein Patientenzimmer, in dem sich insgesamt sieben Personen befanden.
300 Schuss Munition in der Tasche
In der Klinik hatte die Attentäterin am Eingang zwei Passanten angeschossen, bevor sie auf der gynäkologischen Abteilung einen 57-jährigen Pfleger mit einem Dolch und der Pistole attackierte und den Mann tötete. Als Polizisten auf den Flur der Abteilung kamen, feuerte die Frau auf die Beamten. Sie verschanzte sich in einer Nische und schoss dann auf ein Patientenzimmer, in dem sich eine Frau und sechs Besucher befanden. Die Polizisten eröffneten schließlich das Feuer auf die Frau, die bei dem Schusswechsel ums Leben kam. Später fanden die Beamten rund 300 Schuss Munition bei ihr.
Gemeldet war die Frau in einer Gemeinde im Landkreis Lörrach. Um die Verwandten zu schützen, wollten die Ermittler dazu allerdings nichts Genaues sagen. Bei einer Hausdurchsuchung wurden vier Waffen gefunden, die die gebürtig aus Oggersheim in der Pfalz stammende Sportschützin besaß. Unter den Trümmern ihrer Kanzlei in der Markus-Pflüger-Straße in Lörrach sind zwei Tresore, die bislang nicht geöffnet werden konnten und in denen weitere Munition liegen könnte.
Eine psychische Erkrankung ist den Ermittlern nicht bekannt, allerdings hätten Kollegen im Anwaltsverein berichtet, dass die 41-Jährige psychisch labil, gestresst und angespannt gewirkt habe. Was die Frau am Sonntag letztendlich so total aus dem seelischen Gleichgewicht brachte, ist weiterhin unklar.
Neue Debatte um Verschärfung des Waffenrechts
Angesichts des Amoklaufs zeichnet sich erneut eine Debatte um das Waffenrecht ab. Die bundesweite Initiative „Keine Mordwaffen als Sportwaffen!“ forderte ein totales Verbot tödlicher Sportwaffen. Initiativensprecher Roman Grafe kritisierte, dass „auch diese Mordserie durch das lasche deutsche Waffengesetz ermöglicht worden“ sei. Das Risiko durch legale, tödliche Sportwaffen sei trotz der gesetzlichen Regelungen „unbeherrschbar“. Grafe hatte Ende Juli 2010 zusammen mit Eltern von Opfern des Amoklaufs von Winnenden beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen das deutsche Waffengesetz eingereicht.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) lehnte eine reflexartige Debatte über das Waffenrecht ab. Zunächst müssten alle Informationen in aller Ruhe analysiert werden, sagte er. Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach wandte sich ebenfalls gegen Forderungen, die Aufbewahrung von Schusswaffen in Privatwohungen zu verbieten. Solch ein Verbot würde die innere Sicherheit nicht erhöhen, „sondern völlig neue Gefahrenquellen schaffen“, sagte Bosbach der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vom Dienstag. Wenn rund zehn Millionen legale Waffen in Deutschland in privaten Waffenarsenalen lagerten, müssten diese mit riesigem Aufwand bewacht werden. Ansonsten könne mit den Waffen nach einem gelungenen Überfall eine „Privatarmee“ ausgerüstet werden, warnte Bosbach. Das Waffenrecht war nach den Amokläufen von Erfurt im April 2002 und Winnenden im März 2009 bereits drei Mal verschärft worden. (dapd/ap)