Bochum. .
Meistens sind es Männer, die durch einen Amoklauf in die Schlagzeilen geraten. Doch in Lörrach hat eine Frau drei Menschen umgebracht. Ein Psychiater erklärt, warum einige Frauen zunehmend aggressiver werden und was zu solch einem Gewaltakt führen kann.
Das klassische Profil eines Amokläufers sieht so aus: männlich, jung, aggressiv. Der Amoklauf in Lörrach jedoch wurde von einer Frau ausgeführt. „So etwas kommt absolut selten vor”, sagt Georg Juckel. Der Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin an der Bochumer Uniklinik LWL (Landschaftsverband Westfalen-Lippe) erklärt: „Amoklauf, also ein erweiterter Suizidversuch, bei dem man den eigenen Tod und den anderer in Kauf nimmt, kommt weltweit hauptsächlich bei Männern vor.” Wenn Frauen aggressiv und gewalttätig werden, „dann in aller Regel gegen sich selbst”.
Doch mittlerweile verzeichne man schon ein anderes Muster: „Es gibt ja auch Mädchenbanden, die andere zusammenschlagen und gegen andere ausgesprochen gewalttätig vorgehen. Das ist ein Phänomen unserer Zeit.”
Frauen in Führungspositionen müssen extrem durchsetzungsstark sein
Vielleicht würden wir soeben Zeugen, wie sich Rollenbilder verändern. Juckel: „Früher waren die Frauen meist Opfer.” Jetzt wachsen sie in die Täterrolle hinein. Eine Erklärung könnte sein, dass von Frauen heute ein männliches Verhalten erwartet wird. „Vor allem Frauen in Führungspositionen müssen extrem durchsetzungsstark sein.” Die zunehmende Aggression, die damit einhergehe, richte sich dann, ähnlich wie beim Mann, wohl stärker nach außen.
Gründe, die zu einem derartigen Gewaltakt führen, seien vor allem diese: Frustration, Benachteiligung - und extreme Demütigung. „Dann steigt der Druck im Kessel.”
Vor allem lange und tiefe Kränkung könne die Menschen so fertig machen, dass sie komplett die Nerven verlieren. „Wenn die Demütigung über viele Jahre angehalten an, wenn es zum Beispiel Probleme in der Partnerschaft gab.”
Die Kränkung könnte zu einem derartig tiefen Verletztsein führen, „dass alle anderen Gefühle ausgehebelt werden”. Dann tritt plötzlich eine große Entschlossenheit auf, „ein absoluter Vernichtungswillen”. Man könnte es mit einer Art Tunnelblick beschreiben, „mit nur einer Aussicht - dem Tod. Dem eigenen Tod, dem der geliebten Menschen, am besten der ganzen Welt”.
Rache ist oft ein großer Antrieb
Psychologisch liefe das alles nach einem recht nachvollziehbaren Plan. Juckel: „Diese Menschen befinden sich in einer tiefen Depression. Sie versinken in einer Welt, in der sie nicht mehr klar sehen.” Daraus kennen sie nur einen Weg hinaus - per Aggression.
Rache sei ein großer Antrieb, sagt der Psychiater. Ein Gefühl, getrieben von großer Demütigung, das dazu führen könne, ein anderes sehr starkes Gefühl komplett auszuhebeln: die Mutterliebe. „Sein Kind zu töten, ist sicher das Gewalttätigste, was wir uns vorstellen können.” Dahinter stecke eine abgrundtiefe Verzweiflung und möglicherweise auch der Gedanke, dass alles Leben sinnlos ist und ausgelöscht werden soll.”
Wer genau hinschaue, könne solche Veränderungen an einem Menschen auch bemerken. „Sie äußern sich meist extrem hasserfüllt, zum Beispiel über ihre Partner.” Es fielen dann oft auch Sätze wie „den mache ich fertig” oder „den bring ich um”. Längst nicht immer habe so etwas Konsequenzen. „Doch wenn Familienangehörige oder Freunde bemerken, dass sich die Situation zuspitzt, dass jemand von dem Gedanken geradezu besessen ist, sollte man einschreiten.” Ein Gespräch führen oder sich auch an einen Arzt oder Psychiater wenden.