Fernando de Noronha/Hamburg. Drei Tage nach dem Absturz der Air-France-Maschine über dem Atlantik läuft die Suche nach Wrackteilen auf Hochtouren. Neue Erkenntnisse heizen Spekulationen über die Unglücksursache an. Demnach brach die Maschine in großer Höhe auseinander und stürzte ins Meer.
Drei Tage nach dem Absturz der Air-France-Maschine (Bild oben) über dem Atlantik läuft die Suche nach Wrackteilen auf Hochtouren. Mehrere Schiffe der brasilianischen Marine waren in dem rund 1000 Kilometer von Küste Brasiliens entfernten Seegebiet unterwegs. Verteidigungsminister Nelson Jobim bezeichnete es als «unwahrscheinlich», dass die Unglücksmaschine durch eine Explosion zum Absturz gebracht worden sei.
Die brasilianische Marine war am Mittwoch mit zwei Kriegsschiffen, einem Patrouillenboot und einer Korvette in dem Seegebiet im Einsatz. Bis zum Einbruch der Nacht konnten jedoch noch keines der von Flugzeugen georteten Wrackteile gefunden und geborgen werden, teilten Marinevertreter mit. Drei weitere brasilianische Marineschiffe, darunter ein Tanker, und ein französisches Meeresforschungsschiff, dessen Tauchroboter die Flugschreiber bis zu 6000 Meter tief bergen könnten, sollten in den kommenden Tagen eintreffen.
Explosion an Bord „unwahrscheinlich“
Aufklärungsflugzeuge hatten im Laufe des Tages weitere und größere Wrackteile der Maschine, entdeckt, die am Montag auf dem Weg von Brasilien nach Paris abgestürzt war und mit der auch 26 Deutsche unterwegs waren. Die Trümmer seien im Radius von fünf Quadratkilometern verstreut, sagte ein brasilianischer Armeesprecher. Gesichtet wurde unter anderem ein etwa sieben Quadratmeter großes Metallteil sowie eine 20 Kilometer lange Treibstoffspur.
Verteidigungsminister Jobim trat Berichten über eine mögliche Explosion als Absturzursache entgegen. Eine Explosion oder Feuer an Bord von Flug AF447 seien «unwahrscheinlich». Darauf deute der kilometerlange Öl- und Treibstofffilm auf dem Wasser hin. Allerdings räumte Jobim ein, dass dies eine «Hypothese» sei.
Französische Behörden rechneten nicht mehr damit, Überlebende zu finden. «Außer bei einem Wunder gibt es angesichts der Vielzahl der Wrackteile streng genommen keinerlei Hoffnung auf Überlebende», hieß es aus Ermittlerkreisen. Die Familien von 59 der brasilianischen Opfer schlossen sich zusammen, um die Ermittlungen zu verfolgen, wie ein Vater eines der Opfer der Globo-Onlineausgabe sagte.
Flugschreiber in großen Tiefen vermutet
Trotz der groß angelegten Suche mit Schiffen und Tauchrobotern äußerten Experten auch wenig Hoffnung, die Flugschreiber des Flugzeugs im tiefen Meer zu bergen. Die französische Luftfahrtbehörde BEA zweifelt daran, dass die beiden Flugschreiber jemals gefunden werden. Sie lägen wahrscheinlich sehr tief auf dem Meeresgrund, der von Unterwasserbergen zerklüftet sei, sagte BEA-Leiter Paul Louis Arslanian. Er sei deshalb «nicht besonders zuversichtlich»; möglicherweise würden die Flugschreiber nie entdeckt werden.
Nach Angaben des Ozeanografischen Dienstes der französischen Marine ist der Atlantik im Absturzbereich bis zu 4700 Meter tief. Aus solchen Tiefen wurde laut BEA noch nie ein Flugschreiber geborgen. BEA-Chef Arslanian sagte, bislang deute nichts darauf hin, dass die vier Jahre alte Airbus A330-200 vor dem Start «ein Problem» gehabt habe. Die französische Regierung schließt bislang keine Ursache für den Absturz aus, auch nicht einen Terroranschlag.
In Paris gedachten Angehörige und Regierungsvertreter in einer Messe der 228 Opfer des Absturzes. An dem Gedenkgottesdienst in der Pariser Kathedrale Notre Dame nahmen neben den Angehörigen und Air-France-Mitarbeitern unter anderem Staatspräsident Nicolas Sarkozy und der deutsche Botschafter in Frankreich, Reinhard Schäfers, teil. Während der Messe wurde ein Beileidsschreiben von Papst Benedikt XVI. verlesen. In Brasilien dauerte eine dreitägige Staatstrauer an. Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner wollte am Donnerstag in Rio de Janeiro an einem Gedenkgottesdienst für die Opfer teilnehmen.
Unglücks-Airbus soll zahlreiche Probleme gemeldet haben
Neue Erkenntnisse über die letzten Minuten vor dem Absturz eines Air-France-Flugzeuges mit 228 Menschen an Bord über dem Atlantik heizen Spekulationen über die Unglücksursache an. Die ARD-«Tagesthemen» berichteten am Mittwochabend, der Airbus A330-200 habe am Montagmorgen zwar keinen Notruf abgesetzt, jedoch ein Dutzend automatische Botschaften gesendet, wonach mehrere Apparate ausgefallen seien. Nach Angaben der Fluggesellschaft sei diese Häufung bei einem A330 noch nie vorgekommen. In dem Flugzeug befanden sich laut Air France auch 26 Deutsche.
Der Pilot habe zunächst ein Signal geschickt, demzufolge das Flugzeug durch eine Region mit schweren Gewitterstürmen flog, berichte die ARD. Satellitendaten hätten gezeigt, dass der Maschine Sturmböen mit Geschwindigkeiten von bis zu 160 Stundenkilometern entgegenkamen. Die brasilianische Zeitung «O Estado de Sao Paulo», berichtete online, zehn Minuten später habe das Flugzeug eine Serie von Funkmeldungen geschickt, die darauf hindeuteten, dass der Autopilot abgeschaltet und das Computersystem auf eine alternative Energieversorgung umgeschaltet worden sei. Dann habe es eine Flut von Fehlermeldungen gegeben, das Navigationsgerät und die Bordbildschirme seien ausgefallen. Die letzte Meldung am Montagmorgen um 4.14 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit habe besagt, dass der Kabinendruck falle.
Flugzeug vereist und auseinandergebrochen?
Die ARD berichtete, nach Meinung von Experten deuteten die Meldungen darauf hin, dass das Flugzeug in mehreren Tausend Metern Höhe auseinandergebrochen ist. Die französische Untersuchungsbehörde wies einen Bericht der Zeitung «Le Figaro» als Spekulation zurück, wonach über mehrere Hundert Quadratkilometer verstreuten Trümmer auf eine Explosion des Airbus' hindeuten. Man halte sich an Fakten, die man veröffentlichen werde, wenn sie tatsächlich vorlägen, sagte ein Sprecher in den «Tagesthemen».
Der Unfallforscher und ehemalige Pilot Jean Serrat sagte, möglicherweise sei das Flugzeug vereist. In den Gewitterwolken flögen Eisstücke. «Manchmal legen sich in zwei, drei Sekunden sechs Tonnen Eis auf das gesamte Flugzeug. Wenn dann die Fühler vereist sind, die das Flugzeug braucht, um seine Geschwindigkeit und Höhe zu ermitteln, dann bekommt der Computer falsche Daten», sagte Serrat. Wenn sich dann noch die Flugeigenschaften durch Eis auf der Außenhaut verschlechtert haben sollten, sei das Flugzeug möglicherweise außer Kontrolle geraten.
„Ein Pilot fliegt nicht direkt in ein Gewitter“
Warum also ist der Pilot nicht einfach umgekehrt, den Gewittern und Stürmen ausgewichen oder hat einen Flughafen angesteuert? Das ist das Standardverfahren anderswo in der Welt. Schließlich fliegt kein Pilot wissentlich in ein schweres Unwetter. Experten vermuten, dass die Piloten versucht haben, sich mit ihrem Radar durch die Gewitter zu navigieren, einen Weg durch «Löcher» in den Unwetterwolken zu finden - und dabei in eine Falle gerieten, aus der es in bis zu 15 Kilometern sich auftürmenden Wolken keinen Ausweg mehr gab.
Joe Mazzone, ein Pilot, der 23 Jahre für die US-Gesellschaft Delta Airways flog, sagt, die Flugkapitäne beobachteten in der Nacht routinemäßig ihr Radar, um sich durch Gewitter zu fädeln. Die Gewitterwolken werden auf dem Radar als rote Flecken angezeigt. In einer gefährlichen Gegend wie der nordöstlich der Inseln Fernando de Noronha im Atlantik könnten Stürme aber so plötzlich auftauchen, dass dem Piloten kein Ausweg mehr bleibe, als hindurch zu steuern. «Du gehst rein, wo man ein Loch vermutet, dann bist du drin und siehst, das alles um dich herum rot ist - da musst du nun durch», erklärt Mazzone. An einem solchen Punkt gebe es keine Rückkehr mehr, weil eine Wende das Flugzeug in dieselben Wetterbedingungen brächte. Kein Pilot in der Welt denke in dieser Situation daran, den Flugplan einhalten zu wollen. «Ihr Ego geht nicht vor Sicherheit - sie werden mit allen anderen sterben.»
„Hagel pustet die Triebwerke aus“
Mazzone sagt, falls der Airbus in eine Unwetterfalle geraten sein sollte, könnte das katastrophal gewesen sein: Aufwinde und Böen dürften das Flugzeug hoch und runter gesogen und mit Hagel regelrecht beschossen haben. «Der Hagel pustet die Triebwerke aus, so wie bei Vogelschlag», sagt er.
Dennoch sind Flugzeugunglücke allein wegen des Wetters selten, sagt der stellvertretende Direktor eines Flugwetterzentrums in Kansas City, Larry Burch. Sei Zentrum gibt täglich Flugwetterberichte aus. Tausende Flüge passieren die Äquatorzone jedes Jahr ohne Zwischenfall. «Ein Pilot fliegt nicht direkt in ein Gewitter», sagt Burch. «Was Sonntagnacht geschehen ist, kann ich einfach nicht erklären.»
Hurrikan-Spezialist Richard Pasch sagt, die Äquatorzone gelte als gefährlich, aber nicht als lebensgefährlich. «Aber schwere Gewitter sind eine Gefahr für den Luftverkehr, Punkt.» (afp/ddp/ap)