Essen. Sophie ist hauptberuflich Freundin, Jens’ Freundin, und das ist ein zeitraubendes Geschäft. Klar, sie hat auch einen normalen Job, aber das ist auch der einzige Jens-lose Bereich ihres Lebens. Treffen mit Freunden? Fehlanzeige.
So, liebe Leser, wo wir uns nun in den letzten Wochen ein wenig kennengelernt haben, wie wäre es denn mit einer kleinen Serie? Der Oberbegriff, so stelle ich mir vor, lautet „Beziehungstypen – wie wir nie werden wollen“. Beiträge dann je nach Anlass in loser Folge immer mal wieder.
Jophie und Sens
Der aktuelle Anlass heißt Sophie, ihr in erster Linie ist dieser Text gewidmet. Wenn sie ihn liest, ist das gar nicht schlimm. Es steht alles drin, was ich ihr am Telefon nie sagen konnte – sobald ich tief Luft geholt hatte, kam nämlich meist diese Anklopf-Funktion dazwischen. Und wenn es klopft, dann könnte ja der Jens versuchen, sie zu erreichen und dann muss sie auch bald die Leitung frei machen.
Jens und Sophie, Sophie und Jens, Jophie und Sens. Es gibt sie nur noch doppelt. Warum? Diese zwei Namen, sind sie Synonyme der Leidenschaft? Chiffren für wilden Sex und erderschütternde Orgasmus-Kaskaden? Oder bedeutet jede noch so kurzfristige Trennung voneinander die gewaltsame Unterbrechung eines Dialogs verwandter Seelen, dessen Tiefe wir Normalsterblichen kaum erahnen mögen?
Leidenschaft? Keine Spur!
Von wegen. Wenn man mit Sophie spricht, in der kurzen Spanne, bevor Jens an der Tür schellt oder in der Leitung klopft, worum geht es dann? Sein Geburtstagsgeschenk. Die Urlaubsplanung. Die unmöglichen Pullover, die sie weggeschmissen hat, als sie neulich seinen Schrank ausmistete. Von Leidenschaft keine Spur, von Abenteuer kein Hauch. Es ist ein bisschen, wie wenn man mit seinen Eltern redet. Ach ja, und sie gucken auch Fußball zusammen.
Es gibt Leute, die verlieren jeden Sinn für zwischenmenschliches Miteinander, sobald sie liiert sind. In der Phase Schmetterlings-flattriger, Bauch-kribbliger Verliebtheit ist das ja verständlich und aller freundschaftlichen Rücksichtnahme wert. Wenn sich die traute Zweisamkeit aber erst in eingefahrenen Bahnen bewegt, dann, all ihr Sophien und Jense, hört das allmählich auf, eine Entschuldigung darzustellen.
Von Montag bis Freitag ausgebucht
Ich übertreibe, ich bin eifersüchtig, missgünstig gar? Von wegen! Da Jens uns beim Telefonieren ja regelmäßig dazwischenkommt, und ein gelegentliches Treffen die Freundschaft frisch hält, versuchten Sophie und ich, uns zu verabreden. Freunde hatten mich gewarnt, ich wollte nicht hören.
Montag? „Geht nicht, da kommt Jens vorbei.“ Dienstag? „Ja, aber nur, wenn du zu mir kommst, er will nämlich um 20 Uhr anrufen.“ Mittwoch? „Hm, schwierig. Da kochen wir immer zusammen. Das mussten wir letzte Woche schon ausfallen lassen.“ Donnerstag? „Ja, vielleicht, weiß ich aber noch nicht. Hängt davon ab, ob sein Fußballtraining stattfindet. Wenn ja, dann hätte ich Zeit.“ Freitag? „Ja, aber nur bis halb neun. Wir wollen früh ins Bett, er hat am Samstag ein Spiel.“ Samstag? „Da hat er ein Spiel, ich muss ihn unterstützen.“ Sonntag? „Da wollten wir was zusammen machen. Wir haben fast nie mal einen ganzen Tag für uns. Du, aber ich muss aufhören: Jens hat gesagt, er meldet sich vielleicht heute noch mal.“
Leben in der Luftblase
Am Freitag rief sie dann übrigens gegen 18 Uhr an: Da Jens kurzfristig Überstunden machen musste, hatte sich unerwartet ein Zeitfenster aufgetan. Meine Selbstachtung ließ eine Verabredung unter diesen Umständen leider nicht zu, genauso, wie unsere gemeinsamen Freunde inzwischen resigniert haben. Manchmal beschwert sie sich ernsthaft, dass wir uns nie bei ihr melden.
Gut, abgehakt. Es gibt noch andere Menschen. Aber: Wie fühlt man sich eigentlich, wenn man Sophie ist? Wie lebt es sich in dieser Jens-getränkten Luftblase? Reicht ihr das wirklich, immer nur zu hören, wie’s bei Jens im Job läuft oder ihm zuzuschmachten, wenn er an Samstagnachmittagen keuchend Lederbälle kreuz und quer über verregnete Bolzplätze verfolgt? Wenn das so weitergeht, dann kann er doch irgendwann anfangen, sich mit seinem Spiegelbild zu unterhalten, Wellensittiche fühlen sich ja auch sehr wohl damit. Denn sehr viel mehr als eine Projektionsfläche wird auf kurz oder lang wohl nicht übrig bleiben von jemandem, der nur noch als Anhängsel existiert.