München. Der NSU-Prozess droht zur Farce zu werden: Die bisherigen Verteidiger der Hauptangeklagten wollen ihr Mandat abgeben – also genau das tun, was Beate Zschäpe seit langem verlangt. Doch da macht das Gericht nicht mit.

Es lässt sich im größten Prozess der jüngeren deutschen Geschichte nicht vermeiden, die aktuelle Verfassung der Hauptangeklagten nach Äußerlichkeiten zu beurteilen. Beate Zschäpe schweigt seit Jahren; das einzige, was von ihr gelegentlich nach außen dringt, sind Briefe, ärztliche Gutachten oder Anträge.

Am Morgen des 219. Verhandlungstages ist festzustellen, dass es der Frau ziemlich gut geht. Die auffällige Blässe ist aus ihrem Gesicht verschwunden. Passend zum frisch gebräunten Teint schimmern rosafarbene Bluse und grauer Anzug. Die langen, dunklen Haare sind zum Dutt gebunden.

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Ja, mehr noch: Beate Zschäpe scheint bester Laune zu sein. Nachdem sie sich an ihren drei Verteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm vorbei gedrängt hat, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen, sitzt sie nun neben ihrem neuen Anwalt Mathias Grasel und schwatzt unaufhörlich auf ihn ein. Sie lächelt, gestikuliert und kippelt aufgeregt mit ihrem Stuhl.

Sie weiß wohl, was gleich kommt.

Anwalt Heer beantragt am Morgen die Aufhebung seines Mandates

Nachdem die Richter Platz genommen haben und die Anwesenheit festgestellt ist, meldet sich Anwalt Heer. Er liest einige dürre Sätze von seinem Laptop ab. „Ich beauftragte die Aufhebung meiner Bestellung als Pflichtverteidiger von Frau Zschäpe“, sagt er. „Ich habe mir meinen Schritt reiflich überlegt.“

Auch wenn er, Heer, sich darüber im Klaren sei, dass der Prozess damit neu begonnen werden müsse, könnte die „Verfahrenssicherung“ für ihn nicht mehr im Vordergrund stehen. Schließlich sei das wichtigere Rechtsgut die ordnungsgemäße Verteidigung seiner Mandantin – die „nicht mehr optimal“ möglich sei.

Gründe nennt Heer nicht. Dies, sagt er, verbiete ihm seine anwaltliche Schweigepflicht, von er durch Zschäpe nicht entbunden worden sei. Dafür greift der Anwalt den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl an. „Ich habe Sie mehrfach davor gewarnt, dass diese Bedingungen eintreten könnten. Sie haben diese Warnungen in den Wind geschlagen.“

Anwalt Stahl schließt sich dem Antrag Heers an

Dann meldet sich Anwalt Stahl. Er schließe sich dem Antrag Heers an, sagt er. Er sehe sich „nicht mehr in der Lage“, die Angeklagte ordnungsgemäß zu verteidigen. Ähnlich formuliert es Anja Sturm für sich. Eine Verteidigung sei „nicht möglich“.

Wie immer, wenn der Vorsitzende Richter empört ist, steigt ihm die Röte ins Gesicht. Aber er beherrscht sich, die drei haben ihm ihren Plan am frühen Morgen angekündigt. „Gründe haben wir also keine erfahren“, sagt Götzl trocken und unterbricht die Verhandlung, damit die Anträge der drei Anwälte vervielfältigt werden können.

In diesem Moment hat die Krise der Verteidigung, die seit einem Jahr schwelt, ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Sie begann im vergangenen Sommer, als Beate Zschäpe Heer, Stahl und Sturm ihr Misstrauen aussprach. Es war wohl eine spontane Entscheidung, unüberlegt und schlecht begründet. Dem Gericht fiel es damals leicht, ihren Antrag auf neue Verteidiger abzulehnen.

Daraufhin wurde Zschäpe häufiger krank, klagte über Kopfschmerzen, Migräne. Ein Psychiater attestierte ihr im Frühjahr dieses Jahres eine „chronische Belastungsreaktion“ mit „Einbußen an Antrieb, Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer“ und „psychosomatischen Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen und Röschenflechte“. Zschäpe leide unter der „Schweige-Strategie“ ihrer Anwälte. Das Gericht ordnete an, fortan nur noch an zwei statt drei Tagen in der Woche zu verhandeln, um die Angeklagte zu schonen.

Zschäpe beklagte ein zerstörtes Vertrauensverhältnis

Im Juni kam dann der nächste juristische Vorstoß. Zschäpe war diesmal deutlich besser vorbereitet, hatte mehrere Anwälte kontaktiert. Sie beantragte, allein Anja Sturm von ihrer Pflichtverteidigung zu entbinden, weil das Vertrauensverhältnis zerstört sei. Die Begründung folgte in einem ausführlichen Schreiben, in der sie Sturm unter anderem vorwarf, schlecht zu arbeiten. Der Strafsenat lehnte zwar auch diesen Antrag ab, ordnete aber Zschäpe mit Mathias Grasel einen vierten Verteidiger zu.

Das Gericht, so scheint es, will nur noch die Verhandlung ordnungsgemäß zum Ende führen, koste, was es wolle. Nach mehr als zwei Jahren darf das politisch hoch belastete Verfahren mit über 100 Prozessbeteiligten nicht scheitern.

Politisch hoch belastetes Verfahren darf nicht scheitern

Also saß in den vergangenen Verhandlungstagen der gerade einmal 30 Jahre alte Jurist Grasel neben Zschäpe. Mit ihm unterhält sie sich auch an diesem Montag angeregt, während das Gericht länger als angekündigt über die Anträge ihrer ungeliebten Verteidiger berät.

Als die Verhandlung endlich fortgesetzt wird, kommt es zu einem heftigen Wortgefecht zwischen dem Vorsitzenden Richter und Heer. Der Anwalt habe schwere Anwürfe gegen das Gericht erhoben, er bitte nun um eine Begründung, sagt Götzl scharf. „Ich denke, Herr Vorsitzender, Sie wissen genau, was ich meine“, antwortet Heer.

Daraufhin Götzl: „Ich bitte Sie, offen zu reden. Sie haben das in sehr vorwurfsvollem und nachdrücklichem Ton gesagt.“ „Genauso war es gemeint, Sie haben das richtig interpretiert“, sagt Heer. „Es ist alles Erforderliche in meinem Antrag gesagt.“

„Es geht nicht um Theatralik, sondern um Transparenz“, ruft nun Götzl. Es bestehe auf einer Begründung. „Mehr gibt es dazu nicht zu sagen“, antwortet Heer unbeeindruckt.

Antrag auf Entpflichtung wird zurückgewiesen

Nachdem es so noch einige Mal ähnlich hin und her geht, meldet sich die Bundesanwaltschaft. „Der Antrag ist zurückzuweisen“, sagt Oberstaatsanwältin Anette Greger kühl. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers sei gemäß Strafprozessordnung nur dann aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Mandanten und Anwalt „schwerwiegend und endgültig gestört“ und eine Verteidigung „objektiv unmöglich“ sei. Dafür müsse die Verteidigung aber „die Entpflichtungsgründe darzulegen“, ein „Minimalvortrag“ reiche nicht. „Dies hätte ja zur Folge, dass es letztlich im Beurteilungsspielraum der Verteidiger läge, die Widerruf vorzunehmen.“

Man darf die Erklärung Gregers getrost so zusammenfassen: Da könnte ja jeder kommen. Und ausnahmsweise stimmen die Anwälte der Nebenkläger der Bundesanwaltschaft uneingeschränkt zu. Sie glauben, dass es ihren drei Kollegen nur um die Reputation geht, um einen Akt der Gesichtswahrung. „Der Antrag muss ablehnt werden“, sagt Rechtsanwalt Alexander Hoffmann. „Es ist überhaupt nichts dargelegt.“

Opferanwältin Edith Lunnebach sagt, sie finde es „unwürdig“, wie ständig über die „Befindlichkeit von Frau Zschäpe“ diskutiert werde. Doch es gibt noch eine Steigerung. Denn nun meldet sich Grasel, der vierte Verteidiger. Er teilt im Auftrag seiner Mandantin mit, dass „dem Antrag ihrer drei Pflichtverteidiger nicht entgegen getreten“ werde. Ansonsten wolle er den Vorsitzenden Richter an das Schreiben Zschäpes erinnern, das am Morgen bei Gericht eingegangen sei.

Götzl lässt das Papier verlesen. Die Angeklagte bittet darin den „sehr geehrten Herr Vorsitzenden“, die Sitzordnung auf der Anklagebank zu ändern. Sie wolle gleich neben dem Richtertisch sitzen, und neben Grasel. Die anderen Verteidiger sollten sich rechts davon einordnen, und zwar in der Reihenfolge Heer, Stahl, Sturm. „Mit freundlichen Grüße, B. Zschäpe.“

Debatte über Sitzordnung am Tisch der Verteidigung

Jetzt reagiert auch die Bundesanwaltschaft genervt. Dass so eine Debatte „erwachsenen Menschen“ aufgezwungen werde, hält Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten für überaus lästig. „Die Sitzordnung liegt in ihrem Ermessen“, sagt er zu Götzl. „Da mag so verfahren werden. Sachliche Gründe, die zu hören ich mir im Übrigen gerne erspart hätte, kann ich aber nicht erkennen.“

Während Weingarten dies sagt, lächelt Beate Zschäpe. Sie lächelt breit.

Nach der Mittagspause passiert etwas, was so in diesem Prozess auch noch nicht vorgekommen ist. Der Vorsitzende Richter gibt eine dienstliche Erklärung ab. Götzl will klarstellen, was Heer meinte, als er von Warnungen an das Gericht sprach. Er berichtet, wie Heer, Stahl und Sturm Ende Juni und Anfang Juli mehrfach bei ihm waren, um sich „kritisch“ über die Bestellung eines vierten Verteidigers zu äußern. Sie hätten befürchtet, dass sich dadurch die Angeklagte ermutigt fühlen würde. „Sie könnte den Eindruck bekommen, sie könne ihre Verteidiger einfach bestellen oder entlassen“. Es werde somit schwerer, Zschäpe ihre „Grenzen aufzuzeigen“.

Zschäpe lässt ihre Verteidigung förmlich implodieren

Spätestens jetzt beginnt der Prozess, in dem es immerhin um rassistische Morde und Sprengstoffanschläge geht, zur Farce zu verkommen. Zschäpe hat es geschafft, ihre Verteidigung förmlich implodieren zu lassen und so das Gericht in eine Notsituation zu bringen. Als ihr Neu-Anwalt mitteilt, „dass meine Mandantin von den Gesprächen zwischen Senat und ihren Verteidigern nicht informiert war“, ist gleichsam der Beweis erbracht, dass es so nicht weiter gehen kann.

Doch es wird weitergehen müssen, und zwar mit allen Verteidigern. Der Prozess ist, trotz aller Widrigkeiten, seit seinem Beginn im Mai 2013 weit voran geschritten. Die zehn Morde, die dem NSU zugerechnet werden, sind abgehandelt, genauso wie die Bombenanschläge und die meisten Banküberfälle. Auch die mutmaßliche Brandstiftung Zschäpes gilt als weitgehend belegt. Mehr als 500 Zeugen traten auf.

Für ein Urteil fehlen eigentlich nur noch Details, einige Asservate von den Tatorten und aus der Wohnung in Zwickau, ein paar Zeugen. Dann können die Plädoyers gehalten werden.

Wer dann von der Verteidigung Zschäpes auftreten wird? Wer weiß. Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer jedenfalls müssen bleiben, das entscheidet das Gericht noch am Montag. Die Erklärung, die Götzl verliest, ähnelt stark der Argumentation der Bundesanwaltschaft: Die Verteidiger hätten keinerlei substanzielle Gründe für ihren Antrag vorgebracht.

Dann wird der Prozess fortgesetzt, so, als sei nichts geschehen. Den Widerspruch Stahls, dass er und seine beiden Kollegen sich „außer Stande“ sähen, jetzt einfach weiter zu verhandeln, ignoriert Manfred Götzl – und ruft den nächsten Zeugen auf. Auch er, der Richter, will nun ein Zeichen setzen. Es lautet: Wir machen weiter!

Doch wie wirkt das alles draußen, außerhalb des Gerichtssaals? Was denken die Menschen, die das Spektakel verfolgen, und vor allem die Opfer und ihre Angehörigen? Mehmet Daimagüler vertritt zwei Familien von Menschen, die durch den NSU ermordet wurden. Erst kürzlich, erzählt der Anwalt, war er bei seinen Mandanten in der Türkei, die endlich Aufklärung, endlich Gerechtigkeit wollten. Doch das, was gerade in München stattfinde, sei das Gegenteil davon. Es sei, und dann benutzt er dasselbe Wort wie seine Kollegin Lunnebach zuvor: „unwürdig.“