Essen. . Die Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe wollen nicht weitermachen. Das Gericht muss nun entscheiden, ob sie den NSU-Prozess verlassen dürfen.

Manchmal ist für einen Strafverteidiger leichter, vor Gericht einen Freispruch zu erzielen, als bei einer Pflichtverteidigung das Mandat niederzulegen. Denn die Rechtsprechung hat für diesen Schritt hohe Hürden aufgebaut, damit das Verfahren nicht platzt.

Wieder einmal geht es im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München um Verfahrensfragen, weniger um die inhaltlichen Fragen, ob die Angeklagte Beate Zschäpe an den Morden ihrer Freunde beteiligt war. Nachdem ihre Pflichtverteidiger Sturm, Stahl und Heer morgens beantragten, das Mandat wegen eines gestörten Vertrauensverhältnisses niederzulegen, war die Sorge groß, dass die Hauptverhandlung ohne Urteil beendet wird. Nach 219 Prozesstagen müsste die gesamte Beweisaufnahme wiederholt werden, die emotional tief erschütterten Zeugen, Angehörige der Ermordeten, müssten noch einmal aussagen. Und fraglich ist auch, ob Beate Zschäpe weiter in U-Haft bliebe.

Misstrauen oder Unzufriedenheit reichen nicht aus

Aber ganz so einfach darf ein Anwalt die Pflichtverteidigung nicht ablehnen. Johannes Hidding, Sprecher des Essener Landgerichts, zur Rechtslage, unabhängig vom Münchener Verfahren: “Das bloße Misstrauen oder die Unzufriedenheit reichen nicht aus. Die Rechtsprechung verlangt, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Angeklagtem und Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert ist.” Dies müsse dem Gericht auch detailliert dargestellt werden.

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Ob der Verteidiger entpflichtet wird, entscheidet zunächst der Vorsitzende Richter, letztlich aber der Bundesgerichtshof in der Revision. 1993 hatte er zu diesem Thema über ein Urteil des Landgerichts Saarbrücken zu entscheiden, das zunächst den Antrag des Angeklagten auf Entpflichtung und dann den des Verteidigers ablehnte. Nach fünf Verhandlungstagen hatte damals der Angeklagte in einem Drogenprozess seinen Wahlverteidiger nicht mehr haben wollen. Sofort hatte das Gericht ihn als Pflichtverteidiger bestellt, um das Verfahren zu sichern. Einen Tag später beantragte jedoch auch der Verteidiger seine Entpflichtung, weil der Mandant ihm rufschädigend “Parteiverrat” vorgeworfen und er deshalb gegen den Angeklagten Strafanzeige erstattet hatte. Dies sah der Bundesgerichtshof im Gegensatz zum Landgericht als gewichtig genug für eine Entpflichtung an (BGH 4 StR 364/93). Das oberste Strafgericht stellte aber auch klar, dass die Strafanzeige nicht willkürlich erstattet wird, nur um aus dem Verfahren herauszukommen.

Dass auch der Verfahrensstand bei der Entscheidung des Vorsitzenden Richters eine Rolle spielt, darüber sind sich die meisten Justizpraktiker einig - auch wenn es so öffentlich nicht gesagt wird. Dass das OLG München es aber wirklich riskiert, nach 219 Prozesstagen den Prozess platzen zu lassen, glaubt kaum einer. Denn der vierte Pflichtverteidiger, den der Senat erst vor wenigen Tagen bestellte, rettet das Verfahren nicht. Weil er sich nicht in den umfangreichen Prozessstoff einarbeiten konnte, wäre eine ordnungsgemäße Verteidigung von Beate Zschäpe nicht gewährleistet.

Bleibt die Alternative, dass die Pflichtverteidiger Stahl, Sturm und Heer einfach nicht mehr zu den Verhandlungen kommen und den Prozess boykottieren. Dann müssten sie zumindest die Verfahrenskosten tragen und dürften standesrechtlich Probleme bekommen.