Washington. . Sieben Monate nach dem Tod des Hamburger Austauschschülers Diren D. startet am Montag in Missoula im US-Bundesstaat Montana der Prozess gegen den Todesschützen. Das Gericht muss klären, aus welchem Motiv der Angeklagte schoss. War es Selbstjustiz mit Ankündigung - oder Notwehr?
Markus Kaarma war mehr als angefressen. Zwei Garagen-Einbrüche kurz hintereinander, die Polizei schulterzuckend, die Lebensgefährtin mit dem kleinen Sohn genervt. Einen dritten wollte der Feuerwehrmann aus Missoula nicht widerstandslos hinnehmen. „Ich mache keine Witze“, fluchte er laut Staatsanwalt bei seinem Stammfriseur für den Fall einer neuen Störung des häuslichen Friedens, „ihr werdet das in den Nachrichten sehen. Ich werde sie verdammt noch mal töten.“ Vier Tage später, am 27. April, lag der 17-jährige Austauschschüler Diren D. aus Hamburg-Altona erschossen in Kaarmas Garage. Selbstjustiz mit Ankündigung? Tötung mit klarem Vorsatz? Oder Notwehr mit fatalem Ausgang?
Auswüchse der US-Waffenkultur zeigen sich in diesem Fall
Um 8.30 Uhr beginnt heute im Bezirksgericht der 70.000-Einwohner-Stadt im US-Bundesstaat Montana die Suche nach der Wahrheit in einem Fall, der die schlimmsten Auswüchse amerikanischer Waffenkultur in sich vereint: Erst schießen, dann fragen. Maximale Gewalt anwenden, anstatt zu deeskalieren. Den Tod eines anderen in Kauf nehmen, auch wenn der Auslöser eine Lappalie war.
Oder ein Dummejungenstreich.
Andrew Paul, Staatsanwalt und seit sieben Monaten mit jedem Detail des Falles vertraut, schildert die Tragödie nach Aktenlage so: Diren D., der nur wenige hundert Meter von Kaarmas Haus bei seinen Gasteltern, den Smiths, lebt und zur Freude seiner Lehrer und Mitschüler in die 11. Klasse der Big Sky Highschool geht, hat Langeweile. Mit seinem aus Ecuador stammenden Mitschüler Robby Pazmino zieht er zur Geisterstunde durch die Nachbarschaft. Auf der Suche nach einem offenen Tor, hinter dem sich vielleicht ein herrenloses Bier verbirgt. „Garage Shopping“ nennen die Kids diese spätpubertäre Form der illegalen Eigentumsübertragung. Am "Deer Canyon Court" Hausnummer 2607 fällt den Jungen eine offene Garage auf. Diren D. geht rein.
Dass sie präpariert ist mit Bewegungssensoren, Babyfon-Lautsprecher und Video-Kamera weiß der Gast aus der Hansestadt nicht.
Mit der Schrotflinte ins Dunkle geschossen
Als der Alarm Markus Kaarma gegen Mitternacht im Haus über eine Mobiltelefonschaltung erreicht, ist das Schicksal des Deutschen so gut wie besiegelt. Der 30-Jährige holt seine Schrotflinte heraus, geht zur Garage, zielt ins Dunkel und drückt, obwohl laut Lebensgefährtin Janelle Pflager von dort ein leises „Hey“ oder „Warte“ zu hören gewesen sein soll, ab. Viermal. Zwei Ladungen treffen Diren D. Er verblutet an Ort und Stelle. Alles spielt sich in nicht mal einer Minute ab. Hat Kaarma sein Opfer in die Falle gelockt?
Zur Verteidigung bringen die fünf Anwälte Kaarmas vor, ihr Mandant sei „in Panik“ geraten. In der Garage habe er einen Angreifer vermuten müssen, der sich wie ein „Tier im Käfig“ fühlte. „Und wenn Diebe ertappt werden“, weiß Verteidiger Paul Ryan, „dann schießen, stechen, schlagen sie, nur um zu entkommen.“
Auf die Frage, warum er nach Bemerken des Eindringlings nicht sofort die Polizei rief, sagte Kaarma bei seiner Vernehmung: „Ich wollte nicht, dass er davonkommt.“ Daraus leitet Staatsanwalt Paul seine Anklage ab: Kaarma schoss ohne Vorwarnung „und ohne eine spezifische Gefahr ausmachen zu können.“ Die „Castle Doctrine“, die das Verteidigen der eigenen vier Wände mit tödlicher Gewalt gestattet, wenn eine ernsthafte Bedrohung vorliegt, ziehe darum nicht. Hier gehe es um einen zu Wutausbrüchen neigenden Mann, der „der Welt böse ist“.
Direns Eltern im Gerichtssaal
Celal D., der aus der Türkei stammende Vater des Opfers wird heute mit seiner Frau im Gerichtssaal sitzen und jede Regung des Angeklagten verfolgen. Er will Gerechtigkeit für seinen „aus nichtigstem Anlass“ getöteten Sohn; sprich Haft für Kaarma. Bernhardt Docke, der Anwalt aus Bremen, der die Freilassung des Bremers Murat Kurnaz aus dem US-Terrorgefangenenlager Guantanamo erstritt, steht ihm dabei zur Seite. Wirklich helfen kann er nicht. Das können nur die zwölf Geschworenen. Einstimmig. In drei Wochen sollen sie entscheiden.