Oberhausen. Nur 1,54 Meter groß, aber mutig wie eine Löwin: Wie Angelika Krietemeyer aus Oberhausen bei den „Omas gegen rechts“ mitkämpft.

„Mutig?“ Ja, das sei sie, sagt Angelika Krietemeyer. Immer den Mund aufmachen, wenn Unrecht geschieht, wenn über Menschen gelästert wird und falsche Behauptungen aufgestellt werden. 80 Jahre ist sie inzwischen alt, aber noch lange nicht müde, sich für Mitmenschlichkeit und Toleranz einzusetzen. Dann packt sie ihr großes „Omas gegen rechts“-Schild und läuft damit durch die Einkaufsstraße, eine Tasche mit Postkarten griffbereit.

Gerade noch haben die „Omas gegen rechts“ in Oberhausen einen Stolperstein verlegen lassen, für Otto Leichsenring, einen von den Nationalsozialisten verfolgten SPD-Mann. Angelika Krietemeyer sind solche Termine wichtig. „Wir müssen immer wieder daran erinnern, was damals geschehen ist“, sagt sie. Die Nationalsozialisten seien mit ihrer Politik verantwortlich für den Krieg, schlimmste Gräueltaten und die deutsche Teilung gewesen.

„Oma gegen rechts“: Mit acht Jahren hat sie die Heimat verloren

Sie selbst hat als Kind darunter sehr gelitten. „Ich weiß, wie sich ein Flüchtling fühlt. Seine Heimat zu verlieren, ist schlimm.“ Erinnerungen kommen in ihr hoch an das Jahr 1953, als sie mit ihren Eltern aus der Nähe von Quedlinburg im Harz nach Westdeutschland floh. Der Vater, ein Tischlermeister, sollte enteignet werden, da entschied er sich zur Übersiedlung. Noch heute hängen als Zeichen von Angelika Krietemeyers Herkunft in ihrem Haus im Stadtteil Lirich Hexen an der Wand, als üppige Dekoration eines Kerzenhalters.

Die resolute Frau hat acht Enkel und zwei Urenkel, aber wenn sie „Wir Omas“ sagt, dann meint sie nicht ihre Generation. Sie spricht von der Gruppe, in der sie sich seit knapp fünf Jahren engagiert und die für Samstag (8. Februar) zu einem bundesweiten Aktionstag aufgerufen hat.

„Ich finde, junge Leute sind leicht beeinflussbar geworden“

Die „Omas gegen rechts“ gehen auf die Straße, um laut zu sein für die Demokratie. Die ältere Frau sei als öffentliche politische Kraft nicht im kollektiven Bewusstsein gespeichert, sagen sie, deswegen wollen sie als Gruppe auftreten, die auffällt. Beim monatlichen Treffen im Oberhausener DGB-Haus sind letztens wieder einige Frauen mehr gekommen, da mussten sie noch Tische und Stühle heranholen.

Cornelia Schiemanowski (71) ist inzwischen eine Freundin von Angelika Krietemeyer geworden. Bei der Stolperstein-Verlegung erklärt sie, man dürfe die grausamen Taten der Nationalsozialisten nicht relativieren oder tabuisieren, sondern müsse daraus Lehren für heute ziehen. „Es geht uns um den Respekt und die Achtung gegenüber allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft, Religion oder politischer Weltanschauung.“

Benedikt (19) macht bald sein Abitur, er hat Geschichts- und Deutsch-Leistungskurs und fühlt sich politisch gut informiert.
Benedikt (19) macht bald sein Abitur, er hat Geschichts- und Deutsch-Leistungskurs und fühlt sich politisch gut informiert. © FUNKE Foto Services | Daniel Attia

Respekt und Achtung. Die Enkel von Angelika Krietemeyer erleben in ihrem Umfeld oft das Gegenteil. „Ich finde, junge Leute sind leicht beeinflussbar geworden“, erzählt Benedikt, der zu Besuch gekommen ist. Der 19-Jährige beobachtet an seiner Schule, der Gesamtschule Weierheide in Sterkrade, wie die Jugendlichen die sozialen Medien aufsaugen. „Vieles, was sie sehen, wird nicht hinterfragt. Die AfD ist sehr präsent und verspricht viel, was gar nicht möglich ist. Sie versucht so, die Leute auf ihre Seite zu ziehen.“

Die Oma schüttelt ihren rothaarigen Kopf. Sie spürt noch die Wut, die in ihr aufstieg, als es im Bundestag zwischen den Parteien kürzlich hoch herging. „So fing das 1933 an, dass sich demokratische Parteien so zerstritten, dass dann Hitler an die Macht kam!“ Für sie sei es „das Schlimmste“, dass Menschen jetzt wieder „Ausländer raus!“ sagen, da könne sie einfach nicht schweigen.

Zivilcourage auf der Liege im Krankenhaus

Wie letztens im Krankenhaus, als sie auf einer Liege aufs Röntgen wartete und mitbekam, wie zwei Frauen schlecht über das ausländische Personal redeten. „Schämen Sie sich nicht?“, rief Angelika Krietemeyer ihnen zu. „Sie wollen hier Hilfe haben und sagen solche schlimmen Dinge?“ Anschließend, beim Röntgen, bedankte sich eine Klinikmitarbeiterin bei ihr.

Omas gegen rechts

Am Samstag, 8. Februar, rufen die „Omas gegen rechts“ zu einem bundesweiten Aktionstag auf. Bundesweit wollen sich Frauen und Männer aus weit über 200 lokalen und regionalen „Omas gegen rechts“-Gruppen beteiligen. Neben Mahnwachen, Sternmärschen und Menschenketten sind in zahlreichen Städten zwischen Hamburg und Konstanz Flashmobs, Chorauftritte und Kulturfeste geplant.

„Leidenschaftlich wird landauf und landab dazu aufgerufen, wählen zu gehen, und zwar demokratische Parteien, und ein Kreuz zu machen ohne Haken“, teilten die „Omas gegen rechts“ in Potsdam mit. In Berlin ist am Vormittag eine Kundgebung am Brandenburger Tor geplant.

Die Demokratie-Initiative „Omas gegen rechts“ in Deutschland wurde 2018 gegründet. Sie will ein Zeichen für Toleranz und Solidarität setzen. Die Achtung der Menschenrechte sei „ein sehr hohes Gut“. Es gelte, sie vor Angriffen von rechts zu schützen. Die bevorstehende Bundestagswahl sei wichtiger als viele vorherige. „Nie war die Gefahr so groß, dass unsere demokratischen Errungenschaften und damit die Basis unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens durch neue Mehrheitsverhältnisse im Bundestag in Gefahr geraten“, so die „Omas gegen rechts“ in Boizenburg.

Den Impuls, sich gegen Ungerechtigkeiten aufzulehnen, spürte Angelika Krietemeyer schon früh. Mit 16 trat die Friseurin in die Gewerkschaft ein, was ihre Ausbildung nicht leichter machte. Später legte sie das Examen zur Altenpflegerin ab, seit 1975 besitzt sie ein SPD-Parteibuch, in diesem Jahr ist Jubiläum. „Aber wir Omas sind nicht politisch“, schiebt sie schnell hinterher. Pro Demokratie, das eint sie.

Klare Kante gegen Schläger in Springerstiefeln

Bei einem Besuch in Quedlinburg legte sich die Oberhausenerin sogar einmal mit Schlägern in Springerstiefeln an, die einen Mann verprügelten. Sie ließ die Polizei rufen und drückte dann, als die Männer immer noch nicht von ihrem Opfer abließen, einem von ihnen eine Hand auf die Schulter: „Lass mal gut sein, der hat genug!“

Enkelin Lara lächelt, als die Oma das erzählt. Die 16-Jährige ist beeindruckt, wie man als nur 1,54 Meter große Frau so viel Mut zeigen kann. „Ich finde Zivilcourage sehr wichtig, man sollte nur gucken, dass man sich nicht selbst in Gefahr begibt“, sagt sie. „Ich darf zwar noch nicht wählen, aber ich habe Angst, dass irgendwann mal Rechtsextreme an die Regierung kommen. Wenn ich lese, was die AfD für ein Frauenbild hat, finde ich das schon problematisch.“

Lara (16) beobachtet, wie stark Handys im Schulunterricht zum Spielen genutzt werden. Sie selbst engagiert sich ehrenamtlich in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit.
Lara (16) beobachtet, wie stark Handys im Schulunterricht zum Spielen genutzt werden. Sie selbst engagiert sich ehrenamtlich in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit. © FUNKE Foto Services | Daniel Attia

Wie Benedikt beobachtet auch Lara an ihrem Gymnasium in Mülheim-Broich, wie Jugendliche im Unterricht an ihren Handys spielen und nicht aufpassen. Benedikt findet: „Die Generation ist viel uninformierter, Bildung ist irgendwie nicht mehr so wichtig.“ Auf die Lehrer lässt er nichts kommen, die seien engagiert und würden viel Aufklärung betreiben. Aber der 19-Jährige kritisiert, dass bei ihm im Unterricht private Tablets erlaubt sind, offiziell als Gerät zum Mitschreiben, aber „da sind alle Apps drauf“. Er selbst lehnt das ab, schreibt mit Stift und Papier, weil er sich nicht so leicht ablenken lassen will. Und mit seinem Geschichts-Leistungskurs weiß er auch historisch Bescheid.

Auf Papier haben die „Omas gegen rechts“ auch ihre wichtigsten Forderungen gebracht:

  • Sicherheit im Alter
  • Klima und Natur schützen
  • Frauenrechte stärken
  • Vielfalt leben
  • Rechte von Arbeitnehmer*innen stärken
Angelika Krietemeyer ist seit knapp fünf Jahren bei den „Omas gegen rechts“ in Oberhausen dabei. Sie kämpft für die Demokratie.
Angelika Krietemeyer ist seit knapp fünf Jahren bei den „Omas gegen rechts“ in Oberhausen dabei. Sie kämpft für die Demokratie. © FUNKE Foto Services | Daniel Attia

Die Omas verteilen die Postkarten in der Stadt. „Mit dem, was wir wollen - und was die AfD will“, sagt Angelika Krietemeyer. Was sie selbst will, ist klar: Dass die Parteien der Mitte sich einig sind in der Abgrenzung gegen rechtsextreme Ideen. Und Benedikt ergänzt: „Man sollte sich gut informieren und keine falschen Informationen verbreiten. Jeder kann sich einsetzen gegen rechts, nicht nur die Omas.“