Oberhausen. Die Stolpersteine erinnern seit 1997 an die Opfer des NS-Regimes. Jetzt sind 25 neue Steine in Oberhausen verlegt worden. Mit einem Gast aus Israel.

In Oberhausen sind am Dienstag, 4. Februar, insgesamt 25 neue Stolpersteine verlegt worden. Teils nahm Gunter Demnig, Initiator und seit Jahrzehnten ständiger Begleiter der Aktion, mit mittlerweile 77 Jahren die Kelle selbst in die Hand und passte die Stolpersteine ins Oberhausener Pflaster ein. Seit 1997 verlegen der Künstler und seine Mitstreiter vor Ort diese Steine zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. In diesem Jahr gab es sogar Besuch aus Israel: Miriam Baydatsch (64), Tochter von Eberhard Faust (Stolperstein an der Stöckmannstraße 58), reiste mit ihrer Tochter Shaked Faust (32), die in Bielefeld wohnt, eigens nach Oberhausen, um an der Zeremonie teilzunehmen: „Es ist uns eine große Ehre, heute hier zu sein!“

In Oberhausen prägen die Stolpersteine mit ihrer beschrifteten Messingoberfläche seit dem Jahr 2008 das Stadtbild mit. Über 300 Exemplare sind bereits in die Gehwege im Stadtgebiet eingelassen worden, stets vor dem letzten selbst gewählten Wohnort der Verfolgten. Die Beschriftung nennt den Namen, das Geburtsjahr sowie die Schicksale jener Menschen, an die auf diese Weise erinnert werden soll.

Familienangehörige: „Wir mussten einfach dabei sein“

Shaked Faust berichtete, dass es für sie und ihre Mutter keine Frage gewesen sei, nach Oberhausen zu kommen, als man von der Stolperstein-Verlegung für ihre Familie gehört habe: „Wir mussten einfach dabei sein.“ Auch Mutter Miriam kam dabei mit vielen Menschen ins Gespräch. Der Gast aus Israel fand viel Aufmerksamkeit. So entstanden immer wieder besondere Gesprächssituationen am Rande der Aktion.

Großes Engagement: Leonie, Finn, Marit, Leah und Baris (v. li.) vom Bertha-von-Suttner-Gymnasium bei der Verlegung der Stolpersteine für Karoline und Karl Feldkamp an der Friedensstraße 70 in Oberhausen.
Großes Engagement: Leonie, Finn, Marit, Leah und Baris (v. li.) vom Bertha-von-Suttner-Gymnasium bei der Verlegung der Stolpersteine für Karoline und Karl Feldkamp an der Friedensstraße 70 in Oberhausen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Die Redaktion dokumentiert an dieser Stelle auszugsweise die Schicksale jener Menschen, an die nun seit dem 4. Februar in Oberhausen neu erinnert wird. Das Team der Gedenkhalle hat diese biographischen Informationen an die Redaktion übermittelt; auch Oberhausener Schulen (Bertha-von-Suttner-Gymnasium, Hans-Böckler-Berufskolleg, Brüder-Grimm-Schule), Vereine, Gewerkschafter (GEW), Initiativen und Familien haben sich wieder an den aufwändigen Recherchen beteiligt:

Eduard Chervatin, Hüttestr. 14c

Eduard Chervatin wird 1906 in Osterfeld geboren. Wie sein Vater wird er Bergmann und arbeitet auf der Zeche Concordia. Seit 1930 ist er Mitglied der KPD. Nach dem Verbot der Partei engagiert sich Eduard Chervatin im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Er liest und verbreitet „illegale“ Parteischriften. Dies wird ihm zum Verhängnis. Am 8. November 1934 wird er verhaftet und bleibt bis Mai 1935 in Essen in Untersuchungshaft. Am 18. Mai 1935 wird er wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu vier Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Nach seiner Entlassung im Mai 1939 arbeitet er wieder als Bergmann auf der Zeche Osterfeld. 1943 zieht man ihn zur Wehrmacht ein, in das Strafbataillon 999. In Frankreich wird er im Straflager des „Bewährungsbataillons“ 999 inhaftiert. Dort bleibt er bis zu seiner Befreiung durch die Alliierten am 19. Februar 1945.

Josef Weidenauer, Uhlandstr. 68

Josef Weidenauer wird 1880 in Düsseldorf geboren. Er kämpft im Ersten Weltkrieg und wird viermal verwundet. Er lernt das Schlosserhandwerk und arbeitet anfangs in der Werkstatt seines Vaters. Die wirtschaftliche Lage zwingt die Familie dazu, die Werkstatt aufzugeben. Josef zieht mit seiner Frau und seinen vier Kindern nach Oberhausen. Hier findet er Arbeit auf der Gutehoffnungshütte. Josef Weidenauer ist Katholik, engagiert sich in keiner Partei, auf der Arbeit kennt man ihn als zuverlässigen und umgänglichen Menschen. Während des Zweiten Weltkriegs wird die Familie zweimal ausgebombt. Ab diesem Zeitpunkt verändert er sich. Weidenauer, mittlerweile 63 Jahre alt, ist verzweifelt und am Ende seiner Kraft. Immer wieder rutschen ihm nun auf der Arbeit negative Äußerungen über Adolf Hitler und den Krieg heraus. Seine Kollegen verraten ihn an die Gestapo. Der Volksgerichtshof verurteilt ihn „als bösartigen und gehässigen Gegner des Dritten Reiches und seiner Staatsführung“ zum Tode. Das Urteil wird am 14. August 1944 in Berlin-Plötzensee vollstreckt.

Josef Treuting, Körnerstr. 60

Josef Treuting wird 1904 in Oberhausen geboren. Bis 1929 arbeitet er als Bergmann auf der Zeche Concordia. Danach verkauft er Obst und Gemüse als selbstständiger Händler. Anfang 1930 wird bei ihm Schizophrenie diagnostiziert. Er wird in die Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau eingewiesen. 1935 wird auf Drängen der Nationalsozialisten ein Antrag auf „Unfruchtbarmachung“ beim „Erbgesundheitsgericht“ gestellt. Obwohl Vater und Sohn dagegen Einspruch einlegen, findet der Eingriff im November 1935 ohne Einwilligung statt. 1940 wird er nach Weilmünster verlegt. Dieser Ort gilt ab 1941 als sogenannte „Zwischenanstalt“ für die Tötungsanstalt Hadamar. Am 13. März 1941 wird Josef Treuting nach Hadamar gebracht und noch am selben Tag ermordet.

Heinrich Pörtner, Harpener Str. 15

Heinrich Pörtner wird 1916 in Oberhausen geboren. Sein Vater ist Epileptiker. Bei seinem Sohn zeigen sich mit elf Jahren ebenfalls erste Symptome. Bis zu diesem Zeitpunkt ist er gut in der Schule und entwickelt sich altersgemäß. 1930 wird er zwecks Diagnose in die Rheinische Landesklinik Bonn für Jugendpsychiatrie aufgenommen. Diese überweist ihn in das St. Josefshaus in Waldbreitbach. Dort ermöglicht man ihm eine Ausbildung zum Schuhmacher, er fügt sich gut in den Heimalltag ein. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verschlechtert sich die Lage für die Patienten. Der Oberhausener wird neu „begutachtet“ und als „erbkrank“ stigmatisiert. Am 20. Juni 1941 wird Heinrich Pörtner in Hadamar ermordet.

Wilhelm Daniel, Jenny Genoveva, Dagobert und Esther Regina Meyer, Klörenstr. 5

Wilhelm Daniel Meyer wird 1902 in Styrum geboren. Er wird Malermeister und übernimmt den elterlichen Betrieb. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Jenny Genoveva Münzer hat er drei Kinder, wovon das Älteste bereits im Säuglingsalter stirbt. 1929 wird Sohn Dagobert in Oberhausen geboren, 1932 Tochter Ester Regina. Bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gehen die Aufträge für Wilhelm Meyer immer weiter zurück. Die Stadt verpflichtet ihn 1939 zur Zwangsarbeit für das Gartenbauamt. Die Kinder Dagobert und Ester Regina dürfen keine reguläre Schule besuchen. Bis 1940 gehen sie auf die jüdische Schule in Oberhausen. Ab September 1941 muss die gesamte Familie in der Öffentlichkeit einen Davidstern tragen. Am 10. Dezember 1941 wird Familie Meyer nach Riga deportiert. Für ein Jahr lebt sie in einem geschlossenen Ghetto. Vater Wilhelm wird am 1. Oktober 1944 nach Stutthof deportiert und dort am 20. Dezember 1944 erschossen. Seine Frau Jenny stirbt ebenfalls in Stutthoff. Dagobert wird in mehrere Zwangsarbeitslager deportiert. Anfang 1945 trifft er im Konzentrationslager Buchenwald das letzte Mal auf seine Schwester Ester Regina. Ihr Schicksal ist bis heute ungeklärt. Dagoberts letzter Einsatzort ist ein Lager in Lübeck. Dort wird er Anfang Mai 1945 von den Engländern befreit.

Hermann und Eva Meyer, Roonstr. 19

Hermann Meyer wird 1869 in Duisburg geboren. Er hat einen Malerbetrieb in Oberhausen und ist fünffacher Vater. Als er sich zur Ruhe setzt, übernimmt sein Sohn Wilhelm Daniel das Malergeschäft. Gemeinsam mit der Familie seines Sohnes Wilhelm werden Hermann und seine zweite Ehefrau Eva Zinner am 10. Dezember 1941 in das Ghetto Riga deportiert und ermordet.

Otto Leichsenring, Alleestraße 127

Otto Leichsenring wird 1897 in Wildenfels im Kreis Zwickau geboren. Er zieht schon als Kleinkind mit seiner Familie nach Oberhausen. Nach der Volksschule arbeitete er im Bergbau und wird Mitglied der SPD und der Gewerkschaft. Nach dem Verbot der SPD gehört er gemeinsam mit Heinrich Jochem zu einer Widerstandsgruppe, die „illegale“ Schriften vertreibt. Otto Leichsenring wird im Juli 1936 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Diese Strafe sitzt er in Lüttringhausen und Vechta ab. Anstatt nach Hause zurückkehren zu dürfen, wird Otto Leichsenring 1938 der Gestapo übergeben. 1943 wird er von Buchenwald ins KZ Auschwitz überstellt; zuletzt leistet er Zwangsarbeit in Mauthausen-Gusen. Dort wird er am 5. Mai 1945 von den Alliierten befreit.

Frisch verlegt: Stolpersteine für Karoline und Karl Feldkamp. Insgesamt sind 25 Steine neu ins Oberhausener Pflaster eingelassen worden.
Frisch verlegt: Stolpersteine für Karoline und Karl Feldkamp. Insgesamt sind 25 Steine neu ins Oberhausener Pflaster eingelassen worden. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Karl und Karoline Feldkamp, Friedenstr. 70

Karl Feldkamp wird 1908 in Oberhausen geboren. 1930 tritt er in die KPD ein. 1931 findet er eine Anstellung auf der Zeche Concordia, wird aber schon nach einem Jahr in die Arbeitslosigkeit entlassen. Nachdem seine erste Ehe gescheitert ist, heiratet er 1935 Karoline „Lina“ Liedtke. Lina teilt seine politische Einstellung. Wenige Tage nach der Hochzeit werden das Ehepaar und die Mutter von Karl, Therese Feldkamp, verhaftet. Während die Frauen schnell wieder aus der Untersuchungshaft entlassen werden, wird Karl Feldkamp 1935 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Nach Verbüßung seiner Haftzeit in den Zuchthäusern Hameln und Lüttringhausen wird er ins KZ Buchenwald deportiert. Dort bleibt er bis zu seiner Befreiung am 11. April 1945.

Leopold, Fritz und Kurt Löwenstein, Stöckmannstr. 102

Leopold Löwenstein wird 1874 in Ibbenbüren geboren. Er studiert Jura und heiratet 1910 Grete Katz. Die drei Kinder Ada, Fritz und Kurt-Joachim werden in Oberhausen geboren. Dort führt Leopold Löwenstein eine angesehene Kanzlei, er hat eine Zulassung als Rechtsanwalt und Notar. Er kämpft im Ersten Weltkrieg. Seine Frau Grete stirbt 1928 an einer Herzerkrankung. Die älteste Tochter kümmert sich ab sofort um die jüngeren Brüder. Die Weltwirtschaftskrise und die hohen Pflegekosten für seine Frau bringen Leopold Löwenstein in große finanzielle Schwierigkeiten. Am 17. April 1933 erhält er zudem ein Berufsverbot. 1936 flieht Fritz Löwenstein in die Niederlande und bereitet seine Auswanderung nach Palästina vor, die ihm 1937 gelingt. In der Reichspogromnacht wird Vater Leopold Löwenstein zusammengeschlagen und im Gerichtsgefängnis inhaftiert. Sein Sohn Kurt-Joachim lässt sich gegen seinen Vater austauschen. Er wird ins Konzentrationslager Dachau deportiert. Sein Vater erholt sich nicht mehr und stirbt am 8. Januar 1939. Tochter Ada wird 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Kurt-Joachim gelingt über die Niederlande die Flucht nach England.

Die Verlegung der 25 Stolpersteine ist in Alt-Oberhausen von zahlreichen Jugendlichen und vielen weiteren Bürgerinnen und Bürgern begleitet worden.
Die Verlegung der 25 Stolpersteine ist in Alt-Oberhausen von zahlreichen Jugendlichen und vielen weiteren Bürgerinnen und Bürgern begleitet worden. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Jakob, Ester, Julius und Eberhard Zvi Faust, Stöckmannstr. 58

Jakob Osias Faust wird 1895 in Korniaktow (Polen) geboren. Er heiratet Ester Rosa Scheiner. 1920 zieht das Paar nach Gladbeck, wo die Söhne Julius und Eberhard zur Welt kommen. Der Boykott jüdischer Geschäfte führt dazu, dass ein Möbelhaus, an dem er beteiligt ist, 1933 liquidiert wird. Danach zieht die Familie nach Oberhausen. In der Reichspogromnacht im November 1938 werden Geschäft und Wohnung zerstört und geplündert. Jakob wird verhaftet und verbringt die Zeit der „Schutzhaft“ im KZ Dachau. Im Dezember 1938 wird er entlassen. Nach seiner Rückkehr beschließt die Familie zu fliehen. Das Haus muss unter Wert verkauft werden. Die Familie kann über den Erlös nicht verfügen. Jakob reist Ende Januar 1939 von Amsterdam mit dem Schiff nach Arica in Chile und von dort weiter nach Bolivien. Im März 1939 folgen ihm seine Frau und die Söhne. Über viele Jahre sind sie auf die Unterstützung von Verwandten angewiesen. 1944 siedelt die Familie nach Argentinien um, wo sie ein eigenes Geschäft eröffnet. Bis zu ihrem Tod, Jakob stirbt 1980, Ester 1988, leben sie in Buenos Aires. Eberhard Zvi heiratet Chava Kornfeld und zieht 1948 nach Israel.

Leib, Rosa, Lena, Hans und Wolf Wirth, Stöckmannstr. 58

Der Kaufmann Leib Wirth wird 1892 in Kalusch (Galizien) geboren. Er heiratet Rosa Schnitzer. Die beiden ziehen 1919 nach Oberhausen. Dort werden die Kinder Lena, Hans und Wolf geboren. 1929 zieht die Familie nach Herne. Seit 1931 ist sie Schikanen ausgesetzt, da Leib Wirth nicht nur Jude, sondern auch Mitglied der SPD und des Reichsbanners gewesen ist. Leib Wirth flieht deshalb schon 1932 in die Niederlande. Die Familie entschließt sich, Herne zu verlassen und wieder zurück nach Oberhausen zu ziehen. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten sehen sie in Deutschland keine Zukunft mehr. Sie verlassen Oberhausen und warten in den Niederlanden auf eine Auswanderungserlaubnis. 1935 reist Familie Wirth nach Palästina aus und entkommt so dem Holocaust.