New York. . Kriege beenden, Reiche besteuern - es sind einfache Forderungen, die die Demonstranten an der New Yorker Wall Street herausschreien. Anfangs waren es nur einige wenige, inzwischen demonstrieren Hunderte in verschiedenen US-Städten.

Die Szenerie auf der Wall Street scheint fast gespenstisch: Als Zombies verkleidet marschieren Hunderte Demonstranten an der New Yorker Börse vorbei - mit Kapitalismuskritik auf den Lippen. „Wie kommt man dem Defizit bei: Hört mit dem Krieg auf, besteuert die Reichen!“, skandieren sie.

Was vor 18 Tagen als bescheidene Protestaktion vor der Wall Street begann, hat immer weitere Kreise gezogen. Auch im Finanzdistrikt von Chicago war am Dienstag das ungeduldige Trommeln der Demonstranten zu hören. Andernorts, etwa in Boston, St. Louis, Kansas City und Los Angeles schlugen die Protestler Zelte auf und schwenkten Transparente.

Sie alle eint ein Gefühl: Ihr Zorn über die schwächelnde US-Konjunktur. Und vor allem der Zorn auf die aus ihrer Sicht zunehmende Gier der Großbanken. „Wir finden, dass das politische Washington mit der Wall Street Kompromisse eingegangen ist“, sagt der IT-Experte Jason Counts, der sich zu den rund 36 Demonstranten in St. Louis gesellt hat. „Wir wollen gehört werden, unsere Stimme ist im Lauf der Zeit ignoriert worden.“ Ein Ende der Demonstrationen wird erst zum Wochenende erwartet.

Demonstranten bringen eigene Zeitung heraus

Schon seit Tagen haaren Hunderte Demonstranten in einem unweit der Wall Street gelegenen Park in ihrem Zeltlager aus. Dabei setzen sie zunehmend auf Organisation: So versorgen sie sich inzwischen gegenseitig mit Medizin, geben sich rechtliche Unterstützung und haben sogar mit dem „Occupied Wall Street Journal“ eine eigene Zeitung herausgebracht.

Der Protest verlief bislang allerdings nicht immer friedlich: Erst am Samstag nahm die Polizei 700 Demonstranten fest, die während ihres Protestmarschs die Brooklyn Bridge passieren wollten. Ihr Vergehen: ordnungswidriges Verhalten und Blockade einer öffentlichen Straße. Eine Woche zuvor hatten Sicherheitskräfte vereinzelt Pfefferspray gegen die Demonstranten eingesetzt, rund 100 Demonstranten wurden festgenommen. „Derzeit erwarten wir keine weiteren Unruhen“, erklärt der New Yorker FBI-Sprecher Tim Flannely. „Aber falls doch, werden die New Yorker Polizei und das FBI alle nötigen Mittel anwenden, um der Situation Herr zu werden.“

„Wir unterstützen diese Demonstranten“

Die jüngsten Festnahmen scheinen desillusionierte College-Studenten und kürzlich entlassene Mittvierziger in ihrem Protest aber eher noch bestärkt zu haben. So sehen sich manche sogar als liberale Version der erzkonservativen Tea-Party-Bewegung oder vergleichen sich mit den Demonstranten des Arabischen Frühlings. Unverhoffte Unterstützung bekamen sie am Montag von den Busfahrern des New Yorker Nahverkehrs. Diese verklagten die Polizei, weil sie Busse angefordert hatte, um festgenommene Protestler von der Brooklyn Bridge abzuholen. „Wir unterstützen diese Demonstranten“, erklärte ihr Gewerkschaftspräsident John Samuelsen. „Wir unterstützen den Gedanken, dass reiche Menschen nicht ihren fairen Anteil zahlen.“

Die Reaktion der Passanten auf die Protestaktionen fällt indes unterschiedlich aus. So ruft ein Mann im Anzug den Demonstranten aufgebracht zu, wieder arbeiten zu gehen. Roland Klingman hat mehr Verständnis. Auch er arbeitet in der New Yorker Finanzbranche und geht mit Schlips und Krawatte mutig durch die protestierende Menschenmenge. Er habe durchaus Sympathie für ihre gegen die Wall Street gerichtete Botschaft. „Ich glaube nicht, dass das persönlich gegen jeden geht, der hier arbeitet“, sagt er. „Wenn sie aber glauben, dass hier jeder für die politischen Entscheidungen verantwortlich ist, handelt es sich um ein großes Missverständnis.“ (dapd)