Die Piraten sind ein Phänomen. Sie können fünf Jahre nach der Parteigründung verkünden, Kurs auf den Bundestag zu nehmen, ohne dafür belächelt zu werden. Die etablierten Parteien nehmen sie ernst. Grüne und FDP fürchten sie sogar. Den Grünen stehlen die Piraten den so lange erfolgreich gepflegten Nimbus der Anti-Parteien-Partei, der FDP die Kompetenz auf dem Feld der Bürgerrechte. Im Umfragehoch der Piraten artikuliert sich der Protest gegen die als verkrustet empfundenen Politikstrukturen.
Ihre Idee der „Liquid Democracy“, der „flüssigen Demokratie“ hat das Zeug, das althergebrachte Parteienverständnis von Organisationen, die mit einem festen Programm bestimmte Wählerschichten vertreten, ins Wanken zu bringen. Jeder darf, jeder soll sich am Entstehungsprozess politischer Entscheidungen beteiligen, alles soll transparent sein. Das ist Politik nach Art der Open-Source-Programme, also frei herunterladbarer Software, die die Nutzer verbessern können.
Frischer Wind in der muffigen Politik
Dieser Ansatz spricht urbane, junge, internetaffine Wähler an und kann durchaus frischen Wind in den muffigen Politikbetrieb bringen. In seiner Radikalität wird er in der politischen Praxis aber nicht funktionieren. Politik ist immer wieder auf schnelle Entscheidungen von Menschen angewiesen, denen vom Wähler Verantwortung delegiert wurde; Politik braucht an manchen Stellen Geheimhaltung. Das werden auch die Piraten zu spüren bekommen, die jüngst das Berliner Abgeordnetenhaus geentert haben.
Weitaus schwerer wiegt aber, dass die Piraten auf so viele drängende Fragen der Zeit noch keine Antworten haben – siehe Eurokrise, siehe Afghanistan-Krieg, siehe Gesundheitswesen, siehe Alterssicherung. Selbst in der Netzpolitik sind sie gespalten. Da gibt es etwa die vehementen Verfechter des Schutzes privater Daten; da gibt es aber genauso die Post-Privacy-Propagandisten, die Datenschutz im 21. Jahrhundert schlicht für antiquiert halten.
Ohne Kompass droht der Schiffbruch
Immerhin werden die Piraten auf ihrem ureigensten Gebiet konkreter als auf anderen Politikfeldern. Diese heimischen Küstengewässer wollen sie aber verlassen, wenn sie jetzt nicht mehr als Netzpartei, sondern als „sozial-liberale Grundrechtepartei“ wahrgenommen werden wollen. Um nachhaltigen Erfolg zu haben, müssen sie zügig Konzepte liefern. Wer in See sticht, braucht einen Kompass, der braucht detailliertes Kartenmaterial. All das fehlt den Piraten noch. Derzeit sind sie auf Schiffbruch programmiert.