Berlin. .
Es ist nicht die erste Bombendrohung, die die Berliner Humboldt-Universität erlebt. Aber diesmal ist sie politisch: Ausgerechnet zur geplanten Europa-Rede des türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül geht beim Polizei-Notruf 110 der Hinweis auf eine Bombe ein. Mehr als 400 Menschen müssen das Audimax verlassen, dann wird die ganze Universität geräumt. Doch Gül lässt es sich nicht nehmen, Stunden später doch zu reden. Mit klaren Warnungen, die Türkei bei den EU-Beitrittsgesprächen nicht zu verschaukeln.
Es ist ein Satz, der nachdenklich macht: "Jeder sollte sich auch dessen bewusst sein, dass unser Volk, das im EU-Beitrittsprozess mit künstlich konstruierten Begründungen und Hindernissen offensichtlich hingehalten und durch ein Visumverfahren in einer mit seinem politischen und wirtschaftlichen Ansehen absolut nicht zu vereinbarenden Weise verletzt wurde, einer EU-Mitgliedschaft nach zehn Jahren nicht mit denselben Enthusiasmus betrachten und ohne seine grundlegenden Werte aufzugeben andere Chancen und Möglichkeiten in Betracht ziehen könnte."
Rede vor geladenen Gästen
Ursprünglich wollte Gül seine Rede im Audimax halten, der 450 Personen Platz bietet. Viele Türken waren gekommen, um "ihren" Präsidenten zu hören - und erleben, ob er das Selbstbewusstsein nicht nur auf Pressekonferenzen oder in de Heimat zeigt, wie eine Zuhörerin sagte. Doch als gegen 18.10 Uhr ein Signalton erscholl und die Polizei zum Verlassen des Saales aufforderte, waren viele enttäuscht. Die von vielen Besuchern mit Spannungen erwartete Europa-Rede schien auszufallen.
Doch Gül weiß, dass der Schlüssel zu einem EU-Beitritt in Deutschland bei der Bundesregierung liegt. Die Bundesrepublik ist nicht nur die stärkste Volkswirtschaft Europas, sondern auch das größte Land in der EU. Und er weiß auch um die Ängste, dass in einigen Jahren wegen der Bevölkerungsentwicklung die Türkei diese Rolle als größtes Land übernehmen könnte. Daher wollte er reden.
Türkei kann strategischer Mulitiplikator sein
So wirbt Gül mit Verspätung, aber nach Angaben von Teilnehmern mit großem persönlichen Einsatz für die türkische Position. Diesmal in einem anderen, kleineren Saal der Humboldt-Universität, zu dem nur geladene Gäste Zugang haben. Nach der Rede verteilt die Botschaft vor dem Haupttor das Manuskript - abgesichert von mehreren Hundertschaften der Polizei.
Darin ist von "Schwerpunktverlagerungen im globalen Gleichgewicht" die Rede, wirbt Gül mit einer "gefestigten Demokratie und dynamischen Marktwirtschaft" in der Türkei. Darin lobt Gül die traditionellen Beziehungen zu Deutschland, das ein "alter Freund und Verbündeter" sei. Und darin betont der türkische Staatspräsident die mögliche Rolle seines muslimisch geprägten Landes als "Quelle der Inspiration" für die Völker des Nahen Ostens.
Während in Hessen Bundeskanzlerin Angela Merkel ihr Nein zu einer EU-Vollmitgliedschaft bekräftigt, schlägt Gül in Berlin andere Töne an. Die Türkei, so sein Tenor, sei nicht nur historisch und politisch ein Teil Europas, sondern gerade heute geostrategsich wichtiger denn je. "Sie sollten den Beitrittsprozess der Türkei nicht nur als Gebot des Prinzips 'Pacta sunt servanda', sondern als Anerkennung der Jahrhunderte währenden Beziehungen, als 'alte Freunde und Verbündete' und als Notwendigkeit des strategischen Interesses unterstützen", sagt er. (dapd)