Dortmund. . Menschen, die Zivilcourage zeigen, werden zuerst gefeiert – und dann nicht selten allein gelassen. Diese bittere Erfahrung hat Jochen Buchholz aus Dortmund gemacht. Ihn haben nicht nur die Gaffer, sondern auch die Justiz enttäuscht.

Als er den Fußabdruck in seinem Gesicht sah, wusste Jochen Buchholz, dass er noch Glück gehabt hatte. In diesem Moment sei alles über ihm zusammengebrochen, sagt er. Ein Gefühl von Wut, Ärger und vor allem Hilflosigkeit übermannte ihn. Ein Gefühl, das seit jener Nacht immer wiederkommt. Die Bushaltestelle, an der es geschah, liegt nur rund 100 Meter von seiner Wohnung entfernt. Der Dortmunder kann sie jeden Tag sehen. Er braucht nur die Straße zu überqueren, um dort zu stehen, wo er damals unter den Tritten seiner Angreifer zusammenbrach.

Einen Helden haben ihn die Medien genannt. Das war im Februar 2009, wenige Monate bevor Dominik Brunner in München für seine Zivilcourage an einem Bahnsteig mit dem Leben bezahlen musste. Jochen Buchholz hat auch Mut gezeigt. In einem Dortmunder Nachtexpress verteidigte er vier Frauen gegen die obszönen Belästigungen zweier Männer. Beim Aussteigen bekam er die brutale Quittung: Ein Täter trat ihm in den Rücken. Er stürzte an der Haltestelle zu Boden. In blinder Wut traten die Männer weiter auf ihn ein. Schließlich konnte er sich schwer verletzt in den Bus zurück flüchten.

Sicherheitsleute schauten zu

Jochen Buchholz zahlte einen geringeren Preis als Dominik Brunner. Der Schlüsselbeinbruch sei nach drei Monaten verheilt, sagt er. Eine kleine Erhebung an der Schulter ist geblieben. Doch neben den Verletzungen hat er eine Reihe bitterer Enttäuschungen erlebt. Deutschland sei zu einer Gesellschaft von Wegsehern geworden, klagt die Opferschutz-Organisation Weißer Ring. Jochen Buchholz weiß jetzt, was das bedeutet: Als die beiden Männer ihn verprügelten, schaute ein Bus voller Fahrgäste zu, darunter auch zwei Sicherheitsleute der Stadtwerke.

Buchholz hat diese Sicherheitsleute wegen Unterlassener Hilfeleistung angezeigt. Doch die Staatsanwaltschaft Dortmund stellte das Verfahren ein. Begründung: Es habe sich um einen „Angriff von erheblicher Brutalität und Aggressivität“ gehandelt. Die Mitarbeiter hätten nicht einschreiten können, ohne sich selbst zu gefährden. Zudem habe dies nicht zu ihren vertraglich vereinbarten Aufgaben gezählt. Das Fazit der Staatsanwaltschaft: Ein Eingreifen war ihnen „nicht zumutbar, wenn ihr Verhalten auch moralisch anders zu werten ist“.

„Als Opfer hat man ein Recht auf ein bisschen Genugtuung“

Eine weitere Enttäuschung erlebte Jochen Buchholz bei der Verkündung des Urteils für seine Angreifer. Beide Täter wurden zu je einem Jahr auf Bewährung verurteilt. „Ich hätte es schon angemessen gefunden, wenn die ins Gefängnis gemusst hätten“, sagt er. „Als Opfer hat man ein Recht auf ein bisschen Genugtuung.“ Die Schläger sollten ihm jeden Monat je 30 Euro Schmerzensgeld bezahlen. Doch einer der Männer habe deutlich zu spät überwiesen, sagt Buchholz. „Normalerweise hätte der deswegen direkt seine Haft antreten müssen.“ Aber bisher sei nichts passiert. „Da kann man nur mit dem Kopf schütteln“, sagt Buchholz. „Wir haben die Gesetze, warum werden sie dann nicht angewandt“

Würde er noch einmal eingreifen? „Ich weiße es nicht“, sagt Buchholz. Er habe große Hochachtung vor couragierten Menschen, wie der alten Frau, die kürzlich in Duisburg ein Mädchen vor einem Mann gerettet hat. Buchholz zögert. Es scheint, als ob die Ereignisse jener Nacht noch einmal vor seinem inneren Auge ablaufen würden. „Auf keinen Fall würde ich’s wieder alleine tun“, sagt er schließlich. „Aber vielleicht denke ich auch beim nächsten Mal: Lass ddie anderen mal ran, du bleibst jetzt sitzen.“ Denn eine Erkenntnis hat sich Jochen Buchholz tief eingebrannt: „Zivilcourage ist gefährlich.“