Dortmund. . Nach dem Rückfall zweier Kinderschänder in NRW wirft die Opferschutz-Organisation Weißer Ring den Behörden Versagen vor. Die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert: „Gefährliche Täter müssen für immer hinter Schloss und Riegel.“

„Wegsperren, am besten für immer!“ – mit diesem Satz sprach Altkanzler Schröder einst vielen aus der Seele. Jetzt könnte er neue Anhänger finden. Denn in NRW sind zwei Sexualstraftäter aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden und haben wieder zugeschlagen. In beiden Fällen hatten Polizei und Justiz eine günstige Prognose abgegeben. Sie sahen kein hohes Rückfallrisiko mehr und lockerten die Überwachung. Ein Freifahrtschein für die Täter: Sie vergriffen sich kurze Zeit später wieder an Kindern. Der Mann aus dem Kreis Steinfurt fand sein fünfjähriges Opfer sogar im selben Wohnhaus. Der Dortmunder soll eine Siebenjährige in eine Tiefgarage gelockt und dort missbraucht haben.

„Die zuständigen Behörden haben versagt“, klagt Veit Schiemann, Sprecher der Opferschutz-Organisation Weißer Ring. „In beiden Fällen gab es eine krasse Fehleinschätzung der Täter.“ Er fordert die Behörden zu mehr Sorgfalt bei der Prüfung der Gefährdung durch ehemals Sicherungsverwahrte auf. „Der Schutz der Bevölkerung muss höchste Priorität haben“, sagt Schiemann. Zudem bestehe großer Zweifel daran, ob eine Überwachung ausreiche. Der Für-immer-wegsperren-Fraktion möchte sich der Weiße Ring jedoch nicht anschließen.

„Das sind tickende Zeitbomben“

Die Deutsche Polizeigewerkschaft wird dagegen deutlicher: „Eine dauerhafte Überwachung dieser Personen ist angesichts des Personalmangels bei der Polizei unmöglich“, sagt der Bundesvorsitzende Rainer Wendt gegenüber DerWesten. Er drängt die Regierung vielmehr zu schnellem Handeln: Schwerverbrecher, die wegen der europäischen Rechtsprechung derzeit auf freiem Fuß seien, müssten so schnell wie möglich wieder hinter Schloss und Riegel, so Wendt. „Das sind tickende Zeitbomben. Die meisten sind nicht therapierbar.“

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Doch bis dahin könnte es noch eine ganze Weile dauern. Das Bundesverfassungsgericht hat die Sicherungsverwahrung erst im Mai für verfassungswidrig erklärt. Bund und Länder sind nun aufgefordert, bis Mai 2013 grundlegende Reformen zu erarbeiten. Das Ziel: mehr Freiheiten, mehr Therapie. Allein in NRW müssen demnach 117 Sicherungsverwahrte neu begutachtet und womöglich freigelassen werden.

18 Sicherungsverwahrte in NRW freigelassen

Bereits 2009 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die in Deutschland geltende Praxis als „menschenunwürdig“ verurteilt. Hierauf haben sich schon einige Betroffene vor Gericht berufen und bekamen Recht. „In NRW wurden inzwischen 18 Sicherungsverwahrte freigelassen, sechs von ihnen werden als gefährlich eingestuft“, sagt Johannes Mocken, Sprecher des Justizministeriums. Bis 2013 werden voraussichtlich 20 weitere Personen in die Freiheit entlassen.

Ob die aktuellen Vorfälle den Entscheidungsprozess beeinflussen könnten, dazu will das Justizministerium sich noch nicht äußern. „Wir müssen abwarten, was uns der Bundesgesetzgeber vorgibt. Die Länder sind lediglich für die Umsetzung zuständig“, sagt Mocken. Man werde das jedoch im Auge behalten und auf die aktuelle Entwicklung reagieren, versichert er.

„Internet-Pranger besser als misshandelte Kinder“

„Solange diese gefährlichen Personen noch frei herumlaufen, muss die unmittelbare Nachbarschaft sofort informiert werden, damit sie sich schützen kann“, fordert Wendt. Dafür ist ihm jedes Mittel recht: „Ich habe lieber einen Internet-Pranger als misshandelte Kinder.“ Im Fall des Missbrauchs im Kreis Steinfurt hatte die ahnungslose Mutter den Kinderschänder sogar mehrmals in ihre Wohnung gelassen.

Der Weiße Ring beklagt zudem einen weiteren Missstand: „Bisher wissen viele Opfer nicht, wenn der Täter freigelassen wird“, sagt Schiemann. Sie müssen einen Antrag bei den Justizbehörden stellen, um informiert zu werden. Wenn nicht gehandelt wird, da ist Wendt jedenfalls überzeugt, sei die Gefahr groß, dass die Bürger bald selbst das Recht in die Hand nehmen würden.