Wien. . Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA ruft die Post-Fukushima-Ära aus. Behörden-Chef Yukiya Amano legt ein „Fünf-Punkte-Programm“ zu mehr Sicherheit in Atomkraftwerken vor. Die Organisation will mehr Kompetenzen.

Wir leben im Post-Fukushima-Zeitalter - das sagt jedenfalls Yukiya Amano, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Es klingt, als würde alles anders werden in Zukunft. Als hätten wir die Vergangenheit hinter uns gelassen - die Atomkatastrophen von Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima. Und vor allem: als wären solche Unglücke nicht mehr möglich. Als wäre die „IAEA-Ministerkonferenz zur nuklearen Sicherheit“, die bis Freitag in Wien stattfindet, der Start in eine völlig andere Dimension.

Dass von einer neuen Ära wohl eher nicht die Rede sein kann, zeigt die Einmütigkeit, mit der die Atomkatastrophe von Fukushima unter den 151 Mitgliedsstaaten diskutiert wird. Ja, wir fühlen mit der japanischen Bevölkerung und der Regierung - so leitet fast jeder Delegierte seinen Redebeitrag ein. Doch nun heiße es, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Und das bedeutet ganz und gar nicht, grundsätzliche Skepsis angesichts der Risiken der Atomenergie zu zeigen. Vom Energiehunger angesichts des Bevölkerungswachstums ist die Rede, von Wohlstand und Versorgungssicherheit. Dafür sei Atomstrom nun mal essenziell. Das scheint ebenso Konsens zu sein wie die Dringlichkeit, die Sicherheitsstandards der weltweit rund 440 laufenden Atomkraftwerke zu erhöhen.

Fünf-Punkte-Programm zu Sicherheit

„Mein Land wird die Lehren, die wir aus dem Unglück aus Fukushima-Daiichi gezogen haben, mit der Welt teilen“, kündigt Japans Industrieminister Banri Kaieda an. Doch IAEA-Chef Amano ist ihm bereits zuvor gekommen. Er präsentiert in seiner Auftaktrede ein Fünf-Punkte-Programm zu mehr Sicherheit in Atomkraftwerken, das zunächst durchaus ambitioniert wirkt. „Ich bin überrascht, das klingt nach einem sehr entschlossenen Plan“, bewertet ein Teilnehmer der US-amerikanischen Delegation den Redebeitrag Amanos. „Das Problem wird sein, dafür zu sorgen, dass er nicht nur heiße Luft bleibt.“

Darum geht es: Amano will höhere Sicherheitsstandards bei Atomkraftwerken. Vor allem aber will er, dass diese auch international eingehalten werden müssen. „Verbindlichkeit ist der Schlüssel“, so fordert er die Mitgliedsstaaten auf, sich auf einheitliche Regeln festzulegen. Die Sicherheit der Kraftwerke solle nicht nur von den nationalen Aufsichtsbehörden überwacht werden, sondern auch von internationalen IAEA-Kontrollteams. Amano nennt sie „peer review teams“, um den Begriff „Inspektoren“ zu umgehen - denn das klingt allzu sehr nach den Atomwaffen-Kontrollen.

Auch in Fukushima wurde gewarnt

Diese Teams sollen per Zufallsprinzip die Anlagen besuchen. Wie verbindlich dann deren Schlussfolgerungen sein sollen, steht noch in den Sternen. „Die Details müssen noch ausgearbeitet werden“, sagt Amano.

Hier liegt einer der Stolpersteine. Denn Besuche von „peer review teams“ gibt es schon lange. 2007 etwa begutachtete eine IAEA-Gruppe die Atomkraftwerke in Japan. Damals empfahlen die Kontrolleure dringend, die japanische Atomaufsicht NISA vom Wirtschafts- und Industrieministerium zu entkoppeln. Passiert ist nichts. Bis zum Unglück in Fukushima.

IAEA-Kontrollen künftig von Atomkonzernen bezahlt?

Bräuchte die IAEA nicht folglich eine neue rechtliche Basis, um eventuell festgestellte Sicherheitsmängel in Kraftwerken ausräumen zu lassen? - „Wir brauchen kein neues Mandat“, sagt Amano dazu. Nötig sei nur der „politische Willen“, um das bestehende Mandat zu stärken. Ob dieser politische Willen vorhanden ist, muss sich erst noch herausstellen.

Doch mehr Kontrolle kostet die IAEA mehr Geld. Und hier könnte ein Grund liegen, warum die IAEA auch in Zukunft nicht unabhängig prüfen dürfte. Denn Amano ist sehr offen, was die Geldgeber angeht. „Ich will alle Möglichkeiten untersuchen“, sagte er in Wien. Dazu zählten „Partnerschaften“ mit Verbänden, Institutionen und Firmen - etwa Energieunternehmen. Dann würden die Betreiber ihre eigenen Kontrollen bezahlen. Eine „neue Ära“ in der Nutzung der Atomenergie wäre das wohl nicht. (dapd)