Berlin. . Die Führung der Grünen stützt Merkels Atomausstieg im Grundsatz, die Basis jedoch wittert Verrat und macht mobil. Der Partei steht ein heißer Sonderparteitag in der nächsten Woche bevor.

Gegen erhebliche Widerstände in den eigenen Reihen will die Grünen-Spitze die Parteibasis auf ein Ja zum schwarz-gelben Atomausstieg einschwören. „Diesen Erfolg, den überlass ich nicht Frau Merkel“, sagte Parteichefin Claudia Roth gestern bei der Vorstellung des Leitantrages für den Sonderparteitag in einer Woche in Berlin.

Dort soll die grüne Mitgliedschaft dem schrittweisen Aus für alle deutschen Atomkraftwerke bis 2022 grundsätzlich ihren Segen geben und politisch den Umstieg auf erneuerbare Energien deutlich beschleunigen. Proteste gegen die Linie der Führung kommen aus mehreren Kreisverbänden, die ein frühzeitigeres Abschalten (bis 2017) verlangen.

Jochen Stay, Veteran der Anti-Atom-Bewegung, hat nun jenen Basis-Grünen Blockade-Material an die Hand gegeben, denen die durch Fukushima eilends veranlasste Energiewende von Kanzlerin Angela Merkel allzu halbherzig vorkommt. Tenor: Nicken die Grünen den Kern des Ausstiegsprogramms ab – Abschaltung der Meiler bis 2022 – verabschieden sie sich aus der Anti-Atom-Bewegung. Schließlich hätten sie bisher stets das Enddatum 2017 als machbar propagiert.

Politischer Konsens ein „Wert an sich“

Mit Umweltverbänden wie Greenpeace im Schlepptau wollen Teile der Grünen-Basis der Führung darum die Leviten lesen. Zu „anschmiegsam“ sei der Kurs der Spitze um Roth, Özdemir, Trittin und Künast, die sich ausweislich des Vorstandsantrages nach langer Feinabstimmung auf eine Spagat-Strategie geeinigt haben: Grundsätzliches Ja zum Ausstiegs-Szenario an sich, aber viele Nachbesserungswünsche beim Kleingedruckten; vom schnelleren Ausbautempo der erneuerbaren Energieträger bis hin zu mehr Förderung energiesparender Gebäudesanierung.

Roth begründete die Linie ähnlich wie der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit der Aussicht, so einen möglichst breiten politischen Konsens gegen die Atomtechnologie hinzubekommen. Was „ein Wert an sich“ sei. Für Aktivist Stay und andere begeben sich die Grünen dagegen in eine Komplizenschaft mit jenen, die der Atomindustrie unnötigerweise ein längeres Überleben sichern wollten.

Parteitag mit Spaltpotenzial

Verfängt sein Argument, steht dem Parteitag eine Konfrontation mit Spaltpotenzial bevor. Roth & Co. wollen das verhindern. „Die politische Kraft, die den Kampf gegen die Atomkraft als Gründungsmythos pflegt,“ heißt es in ihrem Umfeld, „darf ausgerechnet in der Stunde des unumkehrbaren Ausstiegs nicht als verbohrte Ganz-oder-gar-nicht-Partei erscheinen.“

Um die Anhänger von Maximalforderungen milder zu stimmen, soll der grüne Korrekturbedarf an den sieben Einzelgesetzen zur Energiewende, die Bundestag und Bundesrat bis zum 8. Juli verfassungsfest trimmen wollen, klar herausgestrichen werden.

Streitpunkt Stromnetze

Da befinden sich die Grünen in guter Gesellschaft. Die Länderkammer hat gestern quer durch alle Parteien 200 Änderungsanträge durchgearbeitet, generell aber Bereitschaft zum Mitmachen beim Atomausstieg signalisiert. Als mehrheitsfähig zeichnet sich ab, dass alle Länder vom Bund erkennbar mehr Ehrgeiz beim Ausbau der erneuerbaren Energien verlangen, viel mehr Geld für die energiesparende Sanierung von Gebäuden fordern und finanziell beim Rückbau der Altmeiler plus Atommüll-Zwischenlager freigestellt werden wollen.

Uneins ist man sich noch in der Frage, wer beim Ausbau der Stromnetze den Hut aufhaben soll. Eine Vereinbarung, wonach dies die Bundesnetzagentur sein soll und die Länder nur noch zu konsultieren sind, stößt einigen bitter auf und wird die Grünen noch gesondert beschäftigen. Darin ist festgehalten, dass der Bau eines Strommasten künftig Vorrang haben soll. Vor dem Naturschutz. Was die Veteranen des Wald-und-Wiesen-Schutzes dazu sagen, dürfte niemanden überraschen.