Essen. . Grün ist ein Lebensgefühl. Die frühere Öko- und Protestpartei ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Heute wurde in Baden-Württemberg erstmals ein Grünen-Politiker als Ministerpräsident gewählt.
Die Grünen sind wie ein großer Container. Nur dass drinnen keine Waren, sondern Milieus aufeinander treffen: Anti-Atom-Aktivisten und Stuttgarter Bahnhofsgegner, Multi-Kulti-Fans und Naturschützer, linke Ökopaxe und immer öfter auch konservative Bildungsbürger. „Die Grünen“, sagt der Bochumer Politikberater Ulrich Sollmann, von dem der Container-Vergleich stammt, „bilden keine homogene Gruppe. Doch sie sprechen im Moment wie keine andere Partei neben ihrer Programmatik vor allem auch die Emotionalität vieler Menschen an.“
Ein Lebensgefühl
Andere sagen: Grün zu sein, ist nicht nur ein politisches Bekenntnis, sondern ein Lebensgefühl. Ein Lebensgefühl, das längst auch Bevölkerungsgruppen jenseits von selbst gedrehten Zigaretten, Strickpullovern und anderen urgrünen Klischees erreicht hat. Anders ist es kaum zu erklären, dass die Partei, die sich vor gar nicht allzu langer Zeit noch mit einstelligen Wahlergebnissen hinten einreihen musste, am Donnerstag in Baden-Württemberg ihren ersten Ministerpräsidenten stellen will und derzeit in bundesweiten Meinungsumfragen regelmäßig jenseits der 20-Prozent-Marke rangiert.
Und die neuen Grünen zeigen Flagge. Das gelb-schwarze Anti-AKW-Logo, jahrelang von der Bildfläche verschwunden, klebt als Button auf schicken Cabrios und weht als Fahne aus Fenstern in bürgerlichen Wohngegenden. Der Atomprotest ist vom Rand in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Bei dem von den Grünen befeuerten Protest gegen den Stuttgarter Bahnhof stehen konservative, gut situierte Bürgerliche in der ersten Reihe. Man kauft und trägt ebenso teure wie politisch korrekte Markenklamotten, schwört auf Kultur und gute Bildung für die Kinder. Im Urlaubs geht’s in die Bretagne oder gern auch mal weiter weg.
Sind die Grünen schick? Passt ihr neues Lebensgefühl perfekt als Beilage zum fair gehandelten grünen Tee?
Der Essener Politikwissenschaftler Claus Leggewie sieht zwar einen „Coolness-Faktor“ bei den Grünen, warnt aber davor, den Zulauf der Partei darauf zu reduzieren. Den eigentlichen Grund für den Erfolg sieht er an anderer Stelle: „Dass sich die Grünen von der Nischen- zur Mainstream-Partei entwickelt haben“, so Leggewie, „liegt nicht zuletzt daran, dass sie sich in Einklang befinden mit dem Wertewandel in der Gesellschaft.“ Die Partei stehe für Werte wie Nachhaltigkeit, Menschenrechte oder Freiheit, die für viele Menschen immer wichtiger würden.
Ohne Skandale
„Zudem sind die Grünen eine nahezu vollständig korruptionsfreie Partei ohne große Skandale wie in anderen Parteien“, analysiert der Experte. Das verleihe den Grünen eine „hohe Glaubwürdigkeit“. Leggewie: „Wie die Grünen dieses `rüberbringen, das machen sie schon professionell.“
Wie lange wird die grüne Welle noch rollen? Politikberater Sollmann glaubt nicht an ein baldiges Ende. „Einzelne Gruppen können zwar aus dem Container aussteigen“, sagt er, „aber dann werden andere hinzukommen.“
Im grünen Container ist also noch Platz.