Essen/Stuttgart. . Lehrerstellen, Atommeiler, Schulden, Stuttgart 21: In Baden-Württemberg kämpft die künftige Koalition mit Problemen. Schon kündigt sich ein erster Krach an. Gewerkschaften und Arbeitgeber setzten die Regierung in spe jetzt schon unter Druck.

Winfried Kretschmann von den Grünen, designierter Ministerpräsident in Baden-Württemberg, hat beim Aufbau der ersten grün-roten Koalition reichlich Ärger. Ärger mit ungelösten Fragen: Mit der Zukunft des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21. 6000 Demonstranten waren gerade wieder auf der Straße. Auch mit dem Ausstieg aus der Kernenergie, weil der Energieriese EnBW seit Vorgänger Mappus’ Zeiten in Landesbesitz ist und das Abschalten also Steuergeld kostet. Richtig böse Briefe bekommt Kretschmann aber wegen der schon gelösten Fragen.

Grün-Rot will nicht nur das Gymnasium erhalten und verprellt damit so manchen Anhänger. Die künftige Koalition hat in einer ersten Sparvereinbarung auch entschieden, bei der Bildung zu kürzen. „Die alte Landesregierung hat uns einen gewaltigen Schuldenberg hinterlassen“, sagt Kretschmann. Acht Milliarden Deckungslücke. Weil die Zahl der Schüler zurückgehe, sollten aus Altersgründen ausscheidende Lehrer nicht durch neue ersetzt werden, legten Grüne und SPD in Stuttgart fest. Ein Tabubruch.

Die Gewerkschaft schäumt

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schäumt: Das Verfallsdatum grün-roter Wahlversprechen, mehr für die Jugend zu tun, liege gerade bei zwei Wochen. Auch Tübingens OB Boris Palmer zeigt dem Parteifreund Kretschmann die rote Karte. Tübingen werde das Land verklagen, wenn der Zuschuss für die Kitas nicht sofort steige, droht Palmer.

Willkommen im Alltag. Und es zeigt sich, dass der Grüne Kretschmann offenbar gewillt ist, sein Image als Konservativer auch in der Staatskanzlei nicht abzustreifen. Schulden will er abbauen, das Bildungssystem nicht vom Kopf auf die Füße stellen, die Unternehmen im Ländle nicht verprellen. Entsprechend haben die Firmenbosse der neuen Regierung eine „vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit“ angeboten. Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt warnt in einem Po­sitionspa­pier vor „Hysterie“ angesichts der neuen Farbenlehre – ohne freilich zu erwähnen, die „Verkehrsströme dürften nicht an Baden-Württemberg vorbei ge­hen“. Wieder das S-Wort. Stuttgart 21.

Die härteste Probe

Dieses Projekt wird wohl auch die härteste Probe für die Wahlsieger vom 27. März. An dem sonnigen Abend, als Zehntausende auf dem Schlossplatz den Sieg über Schwarz-Gelb feierten, wollte der grüne Spitzenmann nichts über den Bahnhofsneubau sagen – das Vorhaben, das den Grünen wohl auch die fulminanten 26 Prozent Stimmenanteil verschafft hatte.

Jetzt aber muss Kretschmann Farbe bekennen, denn Partner Nils Schmid („Ich bin seit 14 Jahren entschiedener Befürworter“) hat es längst getan. Härter als zuvor und wilder als die Bahn, sagen Spötter, be­kennen sich die Sozialdemokraten zur unterirdischen Su­perstation in der Hauptstadt.

An diesem Donnerstag ist wieder ein Spitzentreffen der künftigen Koalitionäre. Die SPD besteht auf der versprochenen Volksabstimmung. Sie könnte durchaus für Stuttgart 21 ausgehen. Die Grünen andererseits möchten die 4,1 Milliarden Euro teuren Pläne beerdigt sehen.

Das Spiel ist offen

Könnte nicht der vereinbarte „Stresstest“ höhere Kosten ergeben als sie Bund und Bahn bezahlen wollen? Gibt es neue Hinweise, dass der Tiefbahnhof so labil geplant ist, dass ein Einsturz der Decke droht? Die Sache könnte sich von selbst erledigen, spekulieren die Grünen freimütig. Das Spiel ist offen.

Kretschmann, der sich für die Schöpfung begeistert und seit Kindesbeinen für den heimischen VfB jubelt, hat versucht, sich abzulenken. Letzten Samstag zog es ihn ins Stadion. Sein Club kassierte eine 2:4-Niederlage. „Schlimmer kann es nicht mehr werden“, sagte er. Ein schöner Trost für die nächsten Verhandlungen.