Brüssel. .
Warum greift die Nato in Libyen ein - und warum nicht in Syrien? Syrien sei bei der Nato bislang kein Thema, heißt es in der Brüsseler Zentrale der Allianz. Dass das „moralisch nicht zufriedenstellend“ ist, weiß man dort auch.
Zwei Gewaltherrscher lassen unzufriedene Untertanen zusammenschießen. Gegen den einen Machthaber setzt die internationale Gemeinschaft den mächtigen Militärapparat der Nato in Bewegung. Den anderen anderen bekämpft sie mit Ermahnungen. Wie geht das zusammen - warum ist gegen Syriens Präsidenten Assad nicht recht, was gegen Libyens Revolutionsführer Gaddafi billig ist? Die jüngste Entwicklung in der arabischen Welt setzt die Außenpolitik der Europäischen Union und der Nato unter verschärften Verdacht der Prinzipienlosigkeit.
Die meisten Brüsseler Verantwortlichen erkennen an, dass die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht. „Uns ist klar, dass das letztlich willkürlich wirkt”, sagt ein Nato-Diplomat. „Moralisch ist das nicht zufriedenstellend”, meint auch der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok, „aber wir stoßen da an die Grenzen der Machbarkeit.”
Hier – was geht? was nicht? – unterscheiden sich die Fälle. Dass die beiden Machthaber vom Typus her wenig gemein haben, ist demgegenüber zweitrangig. Assad ist ein zurückhaltender Mensch mit verlässlichen Umgangsformen. Gaddafi, in der Boulevard-Presse gern als „der Irre von Tripolis” tituliert, gilt als eitler und unberechenbarer Schauspieler. Der Reflex angesichts der Widerstandsbewegung war bei beiden derselbe: niederschlagen! Dafür hat allerdings der Syrer die weitaus besseren Voraussetzungen.
Syrien hat keine zusammenhängende Befreiungsbewegung
Sein Macht-Apparat, Geheimdienste an der Spitze, ist überall präsent. Weder gibt es es eine zusammenhängende Befreiungsbewegung noch eine freigekämpfte Region wie im Gebiet um die ostlibysche Rebellen-Hochburg Bengasi. Die arabischen Nachbarn zeigen kein Interesse an einer Intervention. Die regionalen Schwergewichte Israel und Türkei halten Assad bei allen Vorbehalten für einen Stabilitätsfaktor, die USA sorgen sich, vom Umsturz profitiere womöglich vor allem die 1982 blutig unterdrückte Moslem-Bruderschaft. Außerdem ist der Westen bereits auf zahlreichen anderen Schauplätzen militärisch engagiert, vor allem in Afghanistan, im Irak und jetzt in Libyen.
So fehlt die politische Dynamik, mit der Franzosen und Briten die Verbündeten zum Einsatz gegen Gaddafi gedrängt hatten. „Syrien wird in der Nato bislang nicht thematisiert”, heißt es in der Brüsseler Zentrale der Allianz, „da gibt es keinerlei Appetit bei irgendwem.” Die Nato weicht dem Problem aus, indem sie sich als militärischer Subunternehmer definiert. Eine eigenständige politische Willensbildung leistet sie sich nur als Verteidigungsgemeinschaft, also da, wo ihre Sicherheitsinteressen unmittelbar berührt sind. Bei allen anderen Szenarien verstehe man sich als Auftragnehmer der Vereinten Nationen, sagt ein Diplomat.
In der EU haben alle Mitgliedsstaaten ihren eigenen Kompass
So einfach kann man es sich bei der EU nicht machen. Während die Nato mit ihrem im Herbst verabschiedeten strategischen Konzept den eigenen Ehrgeiz gedrosselt hat, hat sich die EU mit dem Lissabon-Vertrag und ihrem neuen diplomatischen Dienst (EAD) hochfliegende Ziele für eine „Außenpolitik aus einem Guss” gesetzt. Das ist indes weiter Wunschdenken. Ein Kriterien-Raster – Umgang mit Diktatoren, Reaktion auf offene Gewalt gegen Zivilisten, Regeln für militärische Absicherung humanitärer Einsätze – ist der Apparat der EU-Außendienstchefin Catherine Ashton bislang schuldig geblieben. „Enttäuschend”, klagt Brok. Statt dessen geben die Hauptstädte den Ton an. Und da, sagt eine EU-Insider, „hat jeder seinen eigenen Kompass. Entschieden wird je nach Umständen. Das macht uns jedesmal angreifbar für die Frage: Warum da, und hier nicht?”