Essen. . Hartz-IV-Empfänger dürfen in NRW keine Sportwetten mehr abschließen. Westlotto droht eine Strafe von 250.000 Euro, falls gegen die einstweilige Verfügung verstoßen wird. Unklar ist wie das Spielverbot überprüft wird.

Abgewetzte Strickjacke? Besser nicht. Schuhe abgelaufen? Auch nicht gut. Sieht viel zu ärmlich aus. Und wer ärmlich aussieht, den wird man in Nordrhein-Westfalen künftig fragen, wenn er in der Lottoannahmestelle eine Sportwette platzieren möchte. „Können sie sich das überhaupt leisten?“ Das ist nicht böse gemeint, das hat das Kölner Landgericht so angeordnet.

Offiziell klingt das natürlich anders. In einer einstweiligen Verfügung haben die Kölner Richter der Westdeutschen Lotterie GmbH in Münster („Westlotto“) auferlegt, keine Wetten von Personen anzunehmen, die „Spieleinsätze riskieren, die in keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen stehen, insbesondere Hartz-IV-Empfänger.“ Bei Zuwiderhandlung drohen ein Ordnungsgeld von bis zu 250000 Euro oder bis zu sechs Monaten Haft. „Wir sind ratlos“, gibt Westlotto-Sprecher Axel Weber zu. „Wie soll ein Lottostellenbetreiber denn wissen, ob ein Spieler Hartz-IV-Empfänger ist oder hohe Schulden hat?

Testkunden in Köln eingesetzt

Erwirkt hat die Verfügung der private Glücksspielbetreiber Tipico. Der hat seinen Hauptsitz in Malta, bietet aber auch Sportwetten in Deutschland an. Tipico wirft Westlotto unter anderem vor, gegen den seit 2008 geltenden Glücksspielstaatsvertrag verstoßen zu haben. Darin ist festgehalten, dass Minderjährige, Spielsüchtige, aber auch Menschen mit geringen Einkünften vor Glücksspielen geschützt werden müssen.

20 Verstöße werden in dem Beschluss des Landgerichtes aufgelistet, alle begangen in Lottoannahmestellen in Köln und Umgebung. Dort sollen von Tipico beauftragte Testkunden erschienen sein, immer als Duo. Während einer einen Wettschein ausfüllte, soll der zweite lautstark die finanzielle Situation seines Bekannten angesprochen haben. Mit Sprüchen wie „Hast du überhaupt Geld dafür? Bei deinen ganzen Schulden“ oder „Das haben wir gerne. Stütze kriegen und alles verzocken.“ Meist wurde dann gemeinsam mit dem Annahmestellenbetreiber laut gelacht und gezahlt. Kaum vor der Tür fertigten die Tester dann ein Protokolle an, die Tipico dem Gericht zuleitete.

Hintergrund ist der seit Jahren schwelende Streit zwischen den deutschen Lotteriegesellschaften und privaten Sportwettenanbietern aus dem Ausland, die nach deutschem Recht verboten sind. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof im September vergangenen Jahres entschieden, dass das Sportwettenmonopol des deutschen Staates nicht gerechtfertigt ist. Zu wenig werde für die Suchtprävention getan. In genau diese Lücke stößt nun auch Tipico.

Erwerbslosen-Initiativen sind empört

Welche Folgen der Beschluss in der täglichen Praxis hat, ist unklar. Wie Dirk Esser, Sprecher des Kölner Landgerichtes gestern Nachmittag erklärte, müssen die Betreiber der Annahmestellen nicht bei jedem Kunden nachforschen, wie es um seine finanzielle Situation bestellt ist. „Wenn sie aber von einer prekären finanziellen Lage Kenntnis haben, dürfen die Scheine nicht mehr angenommen werden.“ Im aktuellen Beschluss, so Esser weiter, gehe es nur um Sportwetten und den Verkauf von Rubbellosen an Minderjährige. Die Regeln des Glückspielstaatsvertrages, auf das sich das Gericht beruft, gelten allerdings auch für Lotto.

Dementsprechend empört zeigten sich gestern deutsche Erwerbslosen-Initiativen. Für das Erwerbslosen Forum Deutschland (ELO) etwa ist der Beschluss „absurd und skurril“. Hartz IV Bezieher, schlägt das ELO vor, sollten sich in Internetforen öffentlich als Sportwetter und Lottospieler outen. „Wir wollen doch mal sehen, sagt Martin Behrsing, Sprecher des Forums, „wie schnell dann so eine diskriminierende Entscheidung ad absurdum geführt wird.“

Spitzenpolitiker sind „erstaunt“

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) hat zurückhaltend auf einen Entscheid des Kölner Landgerichts zum Verbot von Sportwetten für Hartz-IV-Empfänger reagiert. Wie das Verbot umgesetzt werden soll, sei unklar, sagte Beck am Donnerstag bei einer Konferenz der Länderregierungschefs in Berlin. Man könne den Menschen schließlich nicht bei der Abgabe ihres Tippscheins fragen, ob sie Hartz IV bekämen.

Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) sieht dies skeptisch. Er habe den Entscheidung „mit Erstaunen“ zur Kenntnis genommen. (mit dapd)