Essen. . Der Forscher Michael Philipp sieht den Fall Guttenberg als „klassisches Beispiel“ eines Politiker-Rücktritts. Auch, weil der Minister viel eher die Konsequenzen aus der Plagiats-Affäre um seine Doktorarbeit hätte ziehen müssen. Ein Comeback sei dennoch wahrscheinlich.
Wenn Politiker von ihrem Amt zurücktreten, ist meist ein Skandal der Grund. Der Hamburger Historiker Michael Philipp hat 250 Politiker-Rücktritte in Deutschland erforscht und dabei acht Kategorien von Rücktritts-Gründen aufgestellt: Dazu gehören Krankheit, Berufswechsel, auch Amtsmüdigkeit. Der Abtritt von Karl-Theodor zu Guttenberg ist die Folge einer Affäre nach einer „persönlichen Verfehlung“ - einer der Hauptgründe, die Politiker zum Rücktritt zwingen. Für Philipp war Guttenbergs Amtsverzicht “zu erwarten“ - wenn auch erst seit dieser Woche.
Herr Philipp, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat die Konsequenzen aus der Affäre um seine Doktorarbeit gezogen. Kommt sein Rücktritt rechtzeitig?
Michael Philipp: Dieser Rücktritt war unvermeidlich, aber er kommt zu spät. Es wäre ihm viel besser bekommen, wenn er an dem Tag seiner ersten Pressekonferenz zurückgetreten wäre. Dann hätte Guttenberg einen selbstbestimmen Abschied gehabt. Es wäre seine souveräne Entscheidung gewesen. Jetzt ist sein Ruf ziemlich in Mitleidenschaft gezogen.
Wie beurteilen Sie seine Rücktritts-Erklärung? Er hat darin den Medien die Schuld an seinem Rücktritt gegeben und ihnen vorgeworfen, den Soldaten zu schaden.
Michael Philipp: Die Erklärung finde ich abgeschmackt. Es gibt in Rücktrittserklärung von Politikern allerdings fast nie das Bekenntnis ‚Ich habe einen Fehler gemacht’. Es ist eine lange Tradition bei skandalisierten Politikern in Deutschland, dass sie sich nicht fragen, was sie zum Rücktritt beigetragen haben, sondern den Medien vorhalten, dass sie etwas aufbauschen oder eine Kampagne fahren.
Guttenberg war die Lichtgestalt der Union. Kann er nach dieser Affäre in der großen Politik nochmal Fuß fassen?
Michael Philipp: Ja, das kann er und er wird es sicher auch. Gewiss in Bayern, aber spätestens in ein paar Jahren kann er auch wieder in die Bundespolitik zurück.
Ein Politiker-Rücktritt bedeutet also nicht das Ende einer Karriere?
Michael Philipp: Überhaupt nicht. Nehmen Sie den Grünen-Politiker Cem Özdemir. Er hatte sich 2002 nach einer Kredit-Affäre mit dem Medienberater Moritz Hunzinger und einer Affäre um Bonusflugmeilen aus der Bundespolitik zurückgezogen, war danach ein Jahr in den USA, bis er über das Europarlament wieder für die Grünen aktiv wurde. Seit 2008 ist er Bundesvorsitzender der Partei.
Sie haben 250 Politiker-Rücktritte erforscht. Wie beurteilen Sie den Fall Guttenberg?
Michael Philipp: Das ist ein nahezu bilderbuchhafter Fall. Der Ablauf ist idealtypisch. Es gibt eine Skandalisierung in einem Medienbericht. Das setzt eine Folge von ritualhaften Schritten in Gang: Es gibt einen Vorwurf und der Politiker dementiert ihn. Das Abstreiten setzt weitere Recherchen in Gang von Medien, auch durch das Internet, was es bisher noch nicht gegeben hat. Guttenberg gibt in der Folge nur die dinge zu, die bekannt geworden sind. Seine Beliebtheit leidet anfangs nicht darunter, dann aber gibt es Gegenwind aus den eigenen Reihen. Guttenbergs Krisenmanagement ist ein Beispiel, wie man in einem solchen Fall nicht vorgehen soll.
Hätte der Verteidigungsminister die Affäre aussitzen können?
Michael Philipp: Das glaube ich nicht. Als der Rückhalt in seiner Partei am Anfang dieser Woche gebröckelt ist, war der Rücktritt absehbar. Ich hätte allerdings vermutet, dass es noch zwei Tage dauert.
Was hat Guttenberg aus Ihrer Sicht schließlich zum Rücktritt gezwungen?
Michael Philipp: Neben den kritischen Stimmen aus der Union, wie sie jüngst von Kurt Biedenkopf, Wolfgang Böhner, Bundesbildungsminister Annette Schavan und Bundestagspräsident Norbert Lammert zu hören waren, war es wohl vor allem der enorme Protest aus der Wissenschaft. Der Druck von 20.000 Wissenschaftlern, dem konnte Guttenberg nicht mehr standhalten.
Ist die Guttenberg-Affäre damit jetzt beendet?
Michael Philipp: Sobald ein Rücktritt erfolgt ist, ist im politischen Alltag aus einem Skandal die Luft raus. Die Erregung wird jetzt abklingen, auch, weil das Fehlverhalten nun sanktioniert wurde. Der Missstand ist jetzt ausgeräumt. Und Herr Guttenberg wird sich sicher in den nächsten Wochen aus der Öffentlichkeit etwas heraushalten.