Hamburg. Die verbilligten HIV-Medikamente sollten in Afrika helfen, doch ein Pharmagroßhändler auf Sylt soll die Präparate umgepackt und in Deutschland mit großem Gewinn verkauft haben.

Mehrere Staatsanwaltschaften und das Bundeskriminalamt sind nach Recherchen des Radiosenders NDR Info einem bundesweiten Millionenbetrug mit gefälschten HIV-Medikamenten auf der Spur.

Im Norden ermitteln die Staatsanwaltschaften Flensburg und Lübeck gegen Pharmagroßhändler aus Schleswig-Holstein. Sie sollen unter anderem für Patienten in Afrika vorgesehene, subventionierte Präparate in großen Mengen umverpackt, illegal nach Deutschland gebracht und hier mit extrem hohen Gewinnen verkauft haben.

„Wir ermitteln gegen einen Pharmagroßhändler mit drei Firmen auf der Insel Sylt und dessen kaufmännischen Mitarbeiter“, sagte der leitender Flensburger Oberstaatsanwalt Rüdiger Meienburg. Mit den HIV-Medikamenten sei ein Umsatz von schätzungsweise rund sechs Millionen Euro erzielt worden. „Da mit Südafrika, der Schweiz und Belgien auch andere Länder beteiligt sind, zählt dieses Verfahren sicher zu unseren größten.“

Schaden bundesweit im zweistelligen Millionenbereich

Die Ermittlungsgruppe der AOK Niedersachsen geht dagegen von einem Schaden im zweistelligen Millionenbereich für die Versichertengemeinschaft aus. „Die Medikamente waren in Deutschland nicht zugelassen, ihr Verkauf erfüllt daher den Tatbestand des Betruges“, sagte AOK-Sprecher Oliver Giebel. Die Kassen würden von den Apotheken, die die Medikamente an Patienten ausgegeben hätten, eine Erstattung des Medikamentenpreises verlangen. Dieser liege bei mehreren Hundert Euro pro Packung.

Insgesamt seien über 10 000 Packungen illegal in Deutschland auf den Markt gebracht worden, sagte Giebel. „Die Apotheken haben die Packungen zu einem ungewöhnlich günstigen Einkaufspreis erhalten und hätten deswegen misstrauisch werden müssen.“ Äußerlich sei die Herkunft der Medikamente an den Packungen aber nicht erkennbar. Die AOK-Ermittlungsgruppe mache für verschiedene Kassen den in Niedersachsen entstandenen bei Apotheken geltend.

Aufgeflogen war der mutmaßliche Betrug im August 2009 in einer Delmenhorster Apotheke. Dort war einem HIV-Patienten aufgefallen, dass sich in einem unbeschädigten Blister - also der Sichtverpackung eines Medikaments - keine Tabletten befanden. Bei anschließenden Untersuchungen des Medikaments durch den Münchener Hersteller GlaxoSmithKline stellte sich heraus, dass sowohl die Umverpackung als auch der Beipackzettel und der Blister gefälscht waren. Der Konzern rief daraufhin sicherheitshalber die betreffende Charge zurück. Auch der Hersteller Boehringer-Ingelheim musste 2009 und 2010 in einem ähnlichen Fall mehrere Chargen eines HIV-Medikaments zurückrufen.

Ermittlungen auch gegen Trittauer Firma

Die Staatsanwaltschaft Lübeck ermittelt in dem Betrugsfall gegen zwei Geschäftsführer einer Trittauer Firma. Ermittelt wird wegen Betrugsverdachts und Verstoßes gegen das Arzneimittelrecht, sagte Oberstaatsanwalt Günter Möller. Die beiden Geschäftsführer sollen in zwei Fällen jeweils 300 Packungen HIV-Medikamente aus Südafrika beschafft und in Trittau vertrieben haben. Für Medikamente im Wert von regulär 300 000 Euro zahlten sie nur 230 000 Euro.

Nach ersten Ermittlungen wurden 87 der 600 Packungen von Patienten verbraucht, sagte Möller. Nach derzeitigem Stand sei die Wirksamkeit der Medikamente nicht beeinträchtigt. „Der Wirkstoffgehalt ist sehr viel geringer, aber noch im Bereich der Toleranz“, sagte Möller. Allerdings gibt es nach wie vor Untersuchungen, ob die Präparate zum Beispiel durch eine Unterbrechung der Kühlkette Schaden genommen haben. (dapd)