Kamwala/Malawi. .
Jeder Achte in Malawi hat HIV. Die Duisburger Kindernothilfe vermittelt den Betroffenen Bildung, Einkommen und Aussichten. DerWesten unterstützt diese Arbeit mit einer Spendenaktion. Eine Mutter berichtet über ihr Leben mit Aids.
Mama liebt es, zu singen, sie ist gut im Beibringen, und die Kinder können mit allen Problemen zu ihr kommen, steht da. Papa ist sehr hilfsbereit und fromm, und er liebt es, mit den Kindern zu spielen; er ist ein außerordentlicher Mann, steht da. Dies ist „Nkhani Yanga“, „Meine Geschichte“: Vielleicht 20 Seiten vollgeschriebenes Papier, gelocht und zusammengehalten von einer Kordel mit Knoten, und auf das vordere Blatt hat Gelina Mchele in das Quadrat, welches eigentlich für ein Porträtfoto von ihr vorgesehen ist, nur ein großes, purpurfarbenes Herz geklebt.
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„Memory Book“, in der Sprache von internationalen Hilfsorganisationen. Man kann aber natürlich auch Buch der Erinnerung sagen, denn wenn Gelina und ihr Mann Robert an ihrer HIV-Infizierung sterben sollten, dann haben die drei Kinder Schrift gewordenes Gedenken an die Eltern in der Hand. Bücher wie dieses schreiben Tausende Frauen in Malawi, und neben der emotionalen Seite hat das auch, ja, vor allem eine praktische: Da steht die pure Lebenshilfe drin. Vorfahren, Verwandte bis ins x-te Glied, und in welchem Dorf man sie findet – woher sollen kleine Kinder das wissen, wenn es zum Ende kommt? „So viele Informationen wie möglich, die den Kindern helfen könnten“, sagt Anderson Master Kamwendo (50), der Vertreter der Kindernothilfe in Malawi.
Der Verlust der Jugend
Aids isst Menschen auf in diesem Land, 12 bis 14 Prozent von 13,1 Millionen Einwohnern sollen HIV-infiziert sein, man rechnet mit 550 000 Aids-(Halb)Waisen im Land – die Elterngeneration ist dahin. „Als Land und als Kirche verlieren wir immer mehr junge Menschen“, sagt Pfarrer Joseph Frank Chabumba hier im Bezirk Ntchisi, 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt Lilongwe. Ihre Kinder, die Aids-Waisen, teils selbst infiziert und teils nicht, müssen ums Überleben kämpfen, sind stigmatisiert und ausgegrenzt, brauchen dauerhaft Hilfe, Begleitung und Aussichten.
Daher treibt die Kindernothilfe hier voran, was in der Branche „Gemeinwesen-Projekt“ heißt: Sie mobilisiert ein paar Bezahlte, aber überwiegend Betroffene, Beherzte und Begeisterte, verknüpft Initiative, Kirche und Dorf, um den ganzen Landstrich voranzubringen – und damit die Kinder. Sie brauchen Kindergärten, ihre Familien bessere Erträge aus ihrem Land – 85 Prozent der Malawier bewirtschaften ein eigenes Stückchen Land, sozusagen mein, aber klein, mit der Hacke in der Hand. Sie lernen, wie man mit einem Schwein aus der Not kommen kann oder warum ein Sparclub Frauen zu Kleinunternehmerinnen macht. Davon wird die WAZ in dieser Serie bis Weihnachten erzählen und bittet Sie herzlich, zu helfen.
Last der Großmütter
Denn nein, auf Dauer geht es so nicht weiter, dass Malawis Großmütter ihre Enkel großziehen müssen, die Kinder ihrer Kinder, die da starben. Yenesi Soko zum Beispiel kennt ihr eigenes Alter nicht, Mitte bis Ende 60 vielleicht, aber jedenfalls kann sie seit kurzem im Haushalt nicht mehr viel tun, und plötzlich braucht sie auch noch diesen Gehstock! Nun ist es die Aufgabe ihrer Enkelin Tiwonge Gausi (16) allein, die Großmutter im Alter durchzubringen und ihren 14-jährigen Bruder, dessen Leben gerade erst beginnt.
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„Ohne Hilfsorganisationen könnten wir nicht überleben“, sagt die Jugendliche, die selbst HIV-infiziert ist, anders als ihr Bruder. Sie bearbeitet Großmutters Land, nimmt Gelegenheitsarbeiten an im Dorf. „Ich möchte ein Doktor werden“, sagt Tiwonge; allerdings fällt sie zurück in der Schule in letzter Zeit. Denn sie wird immer mal wieder krank.
Man trifft dieses Bild in jedem Dorf. Tiwonge in Mpalo, Marko in Chibalu . . . Gibson Nkanaunena von der Kindernothilfe-Partnerorganisation „World Relief“ wirft in seinem verschwitzten Büro in Lilongwe eine Präsentation an die Wand, wonach sie allein in dieser Region 2000 HIV-infizierte Erwachsene unterstützt, 8000 Kinder und 10 500 Jugendliche. Um ihnen nachhaltig zu helfen, müsse man „auf vielen Ebenen eingreifen“, und zwar so, dass „am Ende des Tages die Projekte sich selbst finanzieren“.
In Kamwala haben die Eltern Mchele, die mit dem Buch der Erinnerung, alles vorbereitet für das Ende ihrer Tage. Sie haben die Kinder beraten, was sie einmal arbeiten sollten, Josalini (18), Nkhana (13) und Eliabu (8). Sie haben die Verwandten in die Pflicht genommen, sich zu kümmern – denn anders, als romantische Vorstellungen wollen, ist das auch in Afrika nicht selbstverständlich. Sie haben schließlich kleine Konten eröffnet für die Kinder, damit sie eines Tages nicht ohne alles da stehen. Als all das geregelt war, hat Gelina Mchele in das Erinnerungsbuch geschrieben, dass sie nicht im Krankenhaus sterben möchte. Sondern zu Hause.