Brüssel. . Die EU erhöht den Druck, falls große Unternehmen nicht mehr Frauen in Führungspositionen befördern. EU-Kommissarin Viviane Reding fordert ein Ende der Lippenbekenntnisse. Wenn bis zum Jahresende keine konkreten Pläne vorlägen, droht sie mit rechtlichen Vorgaben aus Brüssel.
Seit 2009 ist der Lissabon-Vertrag in Kraft. Er sollte Europa handlungsfähiger machen. Man hat nicht den Eindruck, dass das funktioniert hat.
Viviane Reding: Wenn Sie die Außenpolitik meinen: Da stecken wir in der Tat noch in den Kinderschuhen. Es gab zuvor keine europäische Außenpolitik, auch nicht die nötige Verwaltung. Die bauen wir nun auf, und man sollte der Sache etwas Zeit geben. Neu ist auch die europäische Justizpolitik: Vorher werkelten hier die Mitgliedsstaaten hinter verschlossenen Türen. Heute macht die Kommission Vorschläge und das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten können gemeinsam entscheiden. Es geht mit Riesentempo voran. Denken Sie nur an die neue Richtlinie zum Recht auf Übersetzung und Verdolmetschung in Strafverfahren oder die Regelungen zu grenzüberschreitenden Scheidungen. Das Europäische Parlament hat eine ganze neue Dynamik im Interesse der Bürger geschaffen.
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Sie sind eine Verfechterin der Frauenquote und haben der Wirtschaft auch schon mit gesetzlichen Maßnahmen zur Durchsetzung gedroht. Bewegt sich da etwas?
Viviane Reding: Es bewegt sich etwas in den Mitgliedsstaaten. Die Regierungen haben mehr und mehr Quoten-Gesetze beschlossen oder arbeiten daran. Es tut sich auch etwas in der Wirtschaft: Immer mehr Unternehmen stellen Frauen in Führungspositionen ein. Nur darf es nicht bei der einen Alibi-Frau bleiben. Männer und Frauen sollten in den Entscheidungsgremien ausgeglichen vertreten sein.
Wie halten Sie es denn in der Kommission? Herrscht dort Gleichberechtigung?
Viviane Reding: Ich selbst hatte die Aufgabe, innerhalb weniger Monate das neue Justizressort der Kommission aufzubauen. Da gibt es in den Führungspositionen 60 Prozent Frauen, auch im mittleren Management. Es ist also sehr wohl möglich, fähige Frauen auch in Führungspositionen zu setzen. Man muss es nur wollen.
Wie wollen Sie das in der Wirtschaft durchsetzen?
Viviane Reding: Ich bin nicht der Meinung, dass man etwas sofort von oben auferlegen sollte. Man sollte schon der Industrie die Möglichkeit geben, selbst zu handeln. Am 1. März werde ich mich mit den Chefs großer europäischer Unternehmen treffen. Ich will von ihnen hören, wie sie ihre Managementstrukturen konkret und in kürzester Zeit ändern wollen. Wenn ich am Ende dieses Jahres sehe, dass sich da außer Lippenbekenntnissen nichts tut, erwäge ich allerdings sehr wohl, auf europäischer Ebene Rechtsinstrumente dazu auf den Weg zu bringen.
Kommt die Botschaft bisher überhaupt an?
Viviane Reding: Ich freue mich, dass auch immer mehr Männer verstehen, dass es im Grunde genommen nicht um feministische Töne geht, sondern um die Frage: Wie organisieren wir unsere Gesellschaft? Und wie bringen wir unsere Betriebe aus dieser Krise? Wir haben gesehen, dass jene Unternehmen, die eine ausgeglichene Geschlechter-Struktur haben, einen sehr viel höheren operativen Gewinn erzielen. Wissenschaftlich analysiert liegt dieser Gewinn um 56 Prozent höher. Es ist also im wirtschaftlichen Interesse von Betrieben, ein Umdenken nicht nur anzukündigen, sondern Taten folgen zu lassen.
Wo sollte so eine Quote liegen? Bei 50 Prozent?
Viviane Reding: Ich habe vorgeschlagen, dass sie bis 2015 bei 30 Prozent liegen sollte und bis 2020 bei 40 Prozent. Ich bin fest überzeugt: Wenn einmal klar und deutlich erwiesen ist, dass die Frauen das können und dass sie ein Gewinn sind, dann wird man keine Quote mehr brauchen. Aber um diese Änderungen zu erreichen, geht es am Anfang höchstwahrscheinlich nicht ohne eine Quote.
Sie sprechen von großen, börsennotierten Unternehmen, oder?
Viviane Reding: Ich will auf keinen Fall in kleine Familienbetriebe eingreifen. Dort wird man ohne Zweifel nach und nach merken, dass Frauen wichtig sind. Wissen Sie, dass 80 Prozent der Kaufentscheidungen von Frauen getroffen werden? Und zwar nicht nur, was Butter betrifft, sondern auch, wenn es um das Auto und das Haus geht. Wenn ich das weiß als Unternehmer, dann stelle ich mich besser auf die Kaufkraft und die Kaufentscheidungen der Frauen in der Gesellschaft ein.
Ein Drittel der Mitglieder der aktuellen EU-Kommissare sind Frauen. Auch das hat Brüssel nur mit großem Druck gegenüber den EU-Mitgliedsstaaten durchgesetzt.
Viviane Reding: Genau. Dies ist das ausgewogenste Geschlechterverhältnis, das je erreicht worden ist. 1994 lag der Frauenanteil der Europäischen Kommission bei 5,6 Prozent. Und die Frauen machen einen guten Job. Das ist besonders wichtig. Jene, die die Möglichkeit bekommen, stehen als Managerinnen im Betrieb oder in der Politik, ihre Frau. Sie zeigen, dass sie’s können. Und es gibt noch viel mehr von uns.