Essen. .
Im Polit-Talk zerpflücken Klaus von Dohnany und der Grüne Werner Schulz die Kommunismus-Blüten der Linken-Vorsitzenden Gesine Lötzsch. Intendant Peymann verteidigt sie in der Rolle des Rumpelstilzchens.
„Man wird doch mal darüber nachdenken dürfen“ – Gesine Lötzsch sagt diesen Satz in der gestrigen Polit-Talkshow bei Maybrit Illner tatsächlich. Gemeint ist das laute Nachdenken über den Kommunismus als alternatives Gesellschaftsmodell zum Kapitalismus, mit dem Lötzsch in den vergangenen Tagen für heftige politische Wellen gesorgt hat. Das jetzige Gesellschaftssystem habe, so die Parteivorsitzende der Linken, bereits lange vor der Bankenkrise seine Unzulänglichkeit erwiesen.
Und sie zählt die bekannten Vorwürfe auf: die auseinander gehende Schere zwischen Arm und Reich, die Hartz-IV-Kinder, der austrocknende öffentliche Sektor, während die Zahl der Millionäre wächst, die Gier der Manager, die die Beschäftigten an den Bettelstab bringt. Deshalb sei es legitim über Alternativen für mehr soziale Gleichheit und Solidarität zu diskutieren und so rechtfertigt sie ihren Satz: „Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung.“
Hilflos agierende Lötzsch
Dass dieser eher schlichte Gedankengang für Widerspruch sorgen muss, hat die auch gestern eher hilflos agierende Lötzsch in den vergangenen Tagen häufiger feststellen müssen – unter anderem in ihrer eigenen Partei.
Man muss auch nicht so weit gehen, wie der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, der der Linken unterstellt, sie plane den gesellschaftlichen Umsturz und müsse daher generell vom Verfassungsschutz überwacht werden, wie er in der Talkrunde erneut betonte. Sogar das Nachdenken über Kommunismus berge bereits den Verfassungsbruch, weil man die Abschaffung der jetzigen freiheitlich-demokratischen Grundordnung ins Kalkül ziehe.
Verhöhnung der Millionen Opfer
Schwerwiegender ist beinahe der Vorwurf, den der grüne Europaabgeordnete und ehemalige DDR-Bürgerrechtler, Werner Schulz, der Linken-Chefin macht: Er sagt, Lötzsch verweigere sich der Lehren aus der Geschichte, entweder aus politischem Kalkül oder aus Dummheit: Alle Versuche, das kommunistische Gleichheitsideal in die Realität umzusetzen, seien gescheitert, weil sie stets in menschenverachtenden, gewalttätigen Regimes endeten.
Das von Linken gerne bemühte Argument, der Kommunismus als Idee sei gut, aber in der Vergangenheit nur schlecht umgesetzt, sei eine Verhöhnung der Millionen Opfer, die diese Experimente gefordert haben. Schulz betont, Stalin, Mao und Pol Pot verkörperten nicht die Entartung der Ideologie, sondern ihre logische Konsequenz. Ergo gebe es keinen Weg zum Kommunismus – die Ideologie modere demnach längst auf der Müllhalde der Geschichte und möge bitte dort bleiben.
Peymann als Rumpelstilzchen
Lötzsch, die selbst wenig an Argumenten für ihre These einbringt, außer dem Hinweis, dass sich ihre Partei vom Stalinismus distanziert hat (was wiederum beweist, dass sie diesen weiterhin nur als degenerierte Spielart des Kommunismus sieht), wird nur von einem verteidigt: Der Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann, gibt an diesem Abend Bert Brecht als Rumpelstilzchen. Er, der den Kommunismus nur als Idee der Salons und nicht als real-ärmlichen Alltag kennt, ereifert sich: Die Gefahr lauere derzeit nicht beim Kommunismus, sondern bei den Auswüchsen des jetzigen Systems. Man werfe der Kirche und ihrer Botschaft der Nächstenliebe heute auch nicht mehr die Toten der Inquisition vor. Die Botschaft des Kommunismus sei die Gerechtigkeit und diese Utopie habe heute mehr denn je ihre Berechtigung. Wer nicht an diese Utopie glaube, sei ein Zyniker giftet er in Richtung Schulz.
Klaus von Dohnany, ehemals Regierender Bürgermeister Hamburgs und SPD-Politiker, widerspricht dem Theatermann in seinem Furor: Derjenige, der verspricht, es könne eine gleichsam perfekte Welt ohne Ungerechtigkeit und Ungleichheit geben, sei mehr oder weniger ein Scharlatan, ein politischer Verführer. „Jede Gesellschaft ist unvollkommen, damit wird man sich abfinden müssen.“ Die Menschen waren nie gleich, die Verhältnisse, in die sie geboren werden, waren seit Urzeiten unterschiedlich. Der Glaube an eine besser Welt, das Streben nach mehr Gerechtigkeit sei wichtig und sinnvoll. Wer aber daran gehe, eine Utopie in die Realität umzusetzen, der werde – wie alle Revolutionäre – dies mit Gewalt tun müssen.
Das Prinzip Freiheit
Reale Verbesserungen für die Menschen erreiche man nur auf dem Wege von Reformen, der ständigen Anpassung der bestehenden Gesellschaft an die Bedürfnisse der Menschen. Das ist der Sinn des demokratischen Staates. Und deswegen habe die Freiheit, die freie Rede, die öffentliche Debatte, die Demokratie ein solches Gewicht. Dies gewährleiste die ständige Korrektur. Die Idee des Kommunismus und der Gleichheit widerspreche aber dem Prinzip Freiheit – weil sie auf der Idee fußt, dass der Mensch der Utopie angepasst werden müsse.
Da war sie – die gesellschaftspolitische Frage, die seit der französischen Revolution immer wieder diskutiert wird in der westlichen Welt: Freiheit oder Gleichheit? Auch an diesem Punkt wurde Lötzsch luftig. Sie betont: „Ohne soziale Sicherheit gibt es keine Freiheit.“ Der unsinnige Umkehrschluss: Der Status der Freiheit ist abhängig vom Einkommen. An diesem Punkt ist es Dohnany, der sie auf die Geschichte hinweist: Wenn die Gleichheit ein solches Gewicht hatte, warum musste die DDR vor 40 Jahren eine Mauer bauen? DDR-Staatschef Ulbricht hatte dies nicht angestrebt. Dass er es dennoch tat, lag daran, dass seine Bürger die Utopie der sozialen Gerechtigkeit à la SED partout nicht teilen wollten.
Fazit der Debatte: In einem Punkt hat Lötzsch recht. Die Linke wird weiter nachdenken müssen, wie man Gerechtigkeit in die politische Realität umsetzen könnte – aber mit neuen Ideen. Das ist eine intellektuell spannende Frage. Der historische Rückgriff allerdings verbietet sich. Der Kommunismus ist moralisch genauso diskreditiert, wie die zweite mörderische Ideologie des 20. Jahrhunderts.