Berlin. In einer gefeierten Rede hat Parteichef Lafontaine auf dem Bundesparteitag der Linken die Kernpunkte des geplanten Programms zur Bundestagswahl präsentiert. Von der beinharten Konfrontation, wie sie dem Parteitag zuletzt vorhergesagt worden war, ist allerdings nichts zu spüren.

Am Ende nimmt Oskar Lafontaine die Seinen sogar in Humor-Geiselhaft. „Bitte setzt euch wieder“, ruft er mitten in den stehend und aufrichtig begeistert vorgetragenen Applaus hinein, sonst heiße es hinterher wieder in den Medien, von denen sich der Saarländer notorisch schlecht behandelt fühlt: „Aufstand der Linken gegen Lafontaine“. Ha. Ha.

Wer solche Witze macht, der hat keine Bange, dass ihm der Laden namens Linkspartei auseinander fliegt. Und tatsächlich: Nach der 75 Minuten langen Auftaktrede des umstrittenen Vorsitzenden hörte man bis zum späten Samstagabend in der Berliner Max Schmeling-Halle kaum ein unversöhnliches Wort über Oskar Lafontaine. Flügelkämpfe? Welche Flügelkämpfe? Von einer beinharten Konfrontation, wie sie diesem Programmparteitag zuletzt vorhergesagt worden war, ist nichts zu spüren.

Wahlprogramm-Präsentekorb zum Wohlfühlen für alle

Lafontaine, ein leidenschaftlicher Polarisierer, trug sicher das Seine dazu bei, ging mit keiner Silbe auf das Gezeter und Gewürge der vergangenen Wochen ein, als die Linkspartei vorwiegend durch Grabenkämpfe und Austritte Schlagzeilen produzierte. Stattdessen lieferte er den 562 Delegierten einen prall gefüllten Wahlprogramm-Präsentekorb zum Wohlfühlen, in dem für wirklich alle - von halblinks über mittellinks bis nach ganz linksaußen – einschlägige Leckereien dabei waren.

Generallinie: „Vermögende, Spekulanten und Einkommensmillionäre, die in den vergangenen Jahren die Profiteure des Finanzkapitalismus waren“, sollen heute stark zur Ader gelassen werden, um die Krise zu bewältigen. Lafontaines Botschaft, wie so oft mit bewusst leicht veränderten Anleihen bei sozialdemokratischem Traditionsgut durchwirkt, setzte vollständig auf Harmonie und Geschlossenheit. „Wenn wir fighten Seit' an Seit'“, rief er in den Saal, dann könne die Linke das Wahlziel von zehn Prozent plus X Ende September durchaus packen. SPD-Liederbewanderten dreht sich da der Magen um.

Globale Finanzkrise im Mittelpunkt

Mit feiner Ironie hebelte Lafontaine den zuletzt von ostdeutschen „Realos“ an ihn gerichteten Vorwurf aus, er spalte die Linke mit immer radikaler angespitzten Positionen. Wer in seiner Forderung nach einem Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde eine „schlimme Radikalisierung“ erkennen wolle, sagte Lafontaine, blende aus, dass um Deutschland herum auch konservativ geführte Regierungen diese Baustelle längst erledigt hätten. Konkret: 10 Euro, das sei nur 5 Prozent mehr als die von der großen Koalition in Luxemburg bestimmte Lohnuntergrenze: „So mutig sind wir, so radikal sind wir“, frotzelte Lafontaine am Rednerpult und hatte die Lacher auf seiner Seite.

Erwartungsgemäß stellte der ehemalige Finanzminister mit gewohnt derber Sprache die globale Finanzkrise und ihre Auswirkungen in den Fokus seiner Rede. „Die Banken haben die Welt überfallen und gerufen: Geld her oder wir vernichten Millionen Arbeitsplätze und verschlechtern die Lebensbedingungen von Milliarden Menschen“, sagte Lafontaine und verlangte, den kompletten Finanz- und Bankensektor unter staatliche Kontrolle zu stellen. Nur dieser Schritt verhindere, dass „kriminelle Geschäfte mit Steueroasen“ und Geschäfte außerhalb der Bilanz getätigt und der unheilvolle Handel mit sogenannten Schrott-Aktien fortgesetzt werde.

„Eigentumsstrukturen grundsätzlich reformieren“

Lafontaine kritisierte ungewohnt scharf die Umstände der staatlichen Rettung der Commerzbank. Diese werde mit rund 18 Milliarden Euro Steuergeldern am Leben erhalten, werbe aber gleichzeitig in ihren Kundenprospekten für Steuerhinterziehung in Steueroasen. Lafontaine: „Die Bundesregierung, der das bekannt ist, wird so zur Hehlerin der Steuerhinterziehung, und kein Staatsanwalt schreitet ein.“ Gipfel der Unverschämtheit aus Sicht Lafontaines: Mit einem Zinssatz von 18,74 Prozent liege die Commerzbank „bei den Wucherzinsen im Spitzenfeld der Deutschen Banken“. Seine Forderung: Der Zinssatz für Dispokredite müsse auf fünf Prozent über dem Zentralbanksatz begrenzt werden.

Überhaupt: Der Wirtschafts- und Finanzkrise kann Lafontaine für seine Partei durchaus Gutes abgewinnen. Es biete sich die Chance, die Eigentumsstrukturen in dieser Gesellschaft grundsätzlich zu reformieren, sagte er. „Wenn Steuergelder bei der Sanierung von Betrieben fließen“, müssten daraus Belegschaftsanteile werden. Wenn Belegschaften „Lohnverzicht abgepresst wird, dann müssen sie im Gegenzug zumindest Anteile ihrer Betriebe erhalten“, verlangte der Parteichef. Lafontaine bekräftigte zudem die Forderung, eine Millionärssteuer einzuführen und die Erbschaftsteuer für große Erbschaften aufzustocken. Außerdem sei eine Börsenumsatzsteuer überfällig.

Diplomatische Worte an die SPD

Auch mit seinen arbeitsmarktpolitischen Akzenten traf Lafontaine die Seele des Parteitags. „Wer 30 Jahre eingezahlt hat, dem sollte das Arbeitslosengeld 30 Monate lang gezahlt werden und wer 40 Jahre eingezahlt hat, dem sollte 40 Monate lang Arbeitslosengeld bezahlt werden“, rief Lafontaine und erhielt dafür ebenso lautstarke Zustimmung wie für die Forderung, Leiharbeit weitgehend abzuschaffen und das Kurzarbeitergeld nicht mehr zu besteuern.

An die Adresse seiner früheren Partei richtete Lafontaine vergleichsweise diplomatische Worte: „Wir verweigern uns nicht einer Regierungszusammenarbeit. Es ist die SPD, die den törichten Beschluss gefasst hat, nicht mit uns zusammenzuarbeiten, und damit ihr eigenes Programm in den Mülleimer geworfen hat.“

Die Parteilinke Sahra Wagenknecht, Galionsfigur der „Kommunistischen Plattform“, setzte zum Abschuss ihrer fundamentalen Kapitalismuskritik, die merkwürdigerweise den lautesten Beifall bekam, den gegenläufigen Akzent. Die Linke baue „auf Gegenwehr, auf Druck“, nicht auf Bündnisse „mit gebrochenen Politkarikaturen a la Müntefering, Nahles und Steinmeier“.

Forderung nach Generalstreik mit frenetischem Jubel begrüßt

Andere Redner mahnten dagegen vor allem mit Blick auf die Mindestlohn-Forderung realistischere Ziele an. Die Delegierte Kerstin Kaiser aus Brandenburg, wo am 27. September Bundestag und Landtag gewählt werden, warb für eine flexible Formulierung im Wahlprogramm mit einem Mindestlohn von „acht Euro plus“. Auch zum Hartz-IV-Regelsatz, der laut Programmentwurf auf 500 Euro steigen soll, gab es etliche Änderungsanträge. Einige Delegierte forderten, den Satz zunächst nur auf 435 Euro anzuheben.

Lafontaine, dem zuletzt aus Kreisen der Partei vorgeworfen worden, zu viel Macht auf seine Person zu vereinen, mag das zu kleinmütig gedacht sein. Aber nicht nur ihm. Seine Forderung nach Zulassung des Generalstreiks nach französischem Vorbild in Deutschland („Lasst uns Französisch lernen!“) nahm die Delegiertenschar jedenfalls geradezu frenetisch auf. Ob die Begeisterung dauerhafter Natur ist, wird sich morgen zeigen, wenn die Verabschiedung des Wahlprogramms ansteht. Auf 41 Seiten werden dort zum Teil weit reichende Forderungen gestellt, unter anderem die Abschaffung von Hartz IV, ein Konjunkturprogramm über 200 Milliarden Euro und der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan sowie die Auflösung der Nato.

Gysi wirbt für Kompromisse

Linke-Fraktionschef Gregor Gysi sieht seine Partei mit dem Bundestagswahlprogramm trotz heftiger interner Kritik gut für den Herbst gerüstet. «Ich stehe zu dem jetzigen Entwurf», sagte Gysi. Er rief die verschiedenen Strömungen in seiner Partei zugleich auf, keine Radikalpositionen einzunehmen und am Sonntag mit großer Mehrheit das Wahlprogramm, das sicher einen Kompromisscharakter trage, anzunehmen.

Bei der Vorlage des Parteivorstandes handle es ich um ein Gesprächsangebot für die Bürger und nicht um ein Grundsatzprogramm, unterstrich Gysi und fügte hinzu: «Der Reiz unserer Partei besteht in unserer Pluralität.» Daher müsse die Linke geeint in den Wahlkampf gehen. Im Übrigen sollte nicht vergessen werden, dass «sehr viele» der 76.000 Parteimitglieder keiner Strömung angehörten.

Als Schwerpunkte der Linken im kommenden Bundestagwahlkampf nannte Gysi eine stärkere soziale Ausrichtung der Gesellschaft mit flächendeckendem Mindestlohn, mehr Mitbestimmung und direkte Demokratie sowie eine klare Friedensausrichtung mit Ablehnung jeglicher militärischer Interventionen. Es sei ein «unglaublicher Skandal», dass Deutschland heute der drittgrößte Waffenexporteur der Welt nach den USA und Russland sei. Zudem forderte der Linken-Politiker Bildungs-Chancengleichheit für die Kinder, die «das höchste Gut» seien. (Mit Material von ddp)