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Es tobt ein Krieg in der digitalen Welt. Da rotten sich hunderte Wikileaks-Anhänger zusammen und laufen Sturm gegen Feinde der Enthüllungsplattform. Die Opfer der Cyber-Attacken sind oft machtlos. Experten sprechen gar von einer neuen Macht im Netz.

Sie nennen es Krieg. Datenkrieg, Informationskrieg oder Krieg im Netz. Und als Kombattanten stehen sich im Moment vor allem die US-Regierung und die Anhänger von Wikileaks gegenüber. Die einen sitzen in Washington, die anderen überall in der ganzen Welt. Die einen mühten sich offenbar darum, ihrem Gegner den Geldhahn abzudrehen. Die anderen griffen daraufhin die Webseiten der Finanzunternehmen Visa und Mastercard an. Und einerlei wie dieser Machtkampf aus­gehen wird, „die Netzwelt wird danach nicht mehr so sein wie zuvor“, sagt der Gießener Politologe und Internet-Experte Christoph Bieber.

Ob es die Demokratie letztendlich stärke oder ihr schade, sei noch nicht absehbar, auf jeden Fall bewirke diese ­Aus­einandersetzung zwischen Wi­kileaks und der US-Regierung eine weltweite Politisierung. „Es ist äußerst spannend und noch lange nicht vorbei“, so Bieber. Dennoch halte er es für überzogen, von einem Info-Krieg zu reden. „Da wird eine klassische Protestkampagne geführt, so wie sonst auf der Mall in Washington demonstriert wird. Dabei wird auch zu Mitteln gegriffen, die an der Grenze der Legalität liegen. Aber nichts anderes passiert, wenn etwa in Berlin die Bannmeile gebrochen wird“, sagt der Politologe.

Online-Demos bei Lufthansa

Doch was internetaffinen Menschen längst vertraut ist, dass man sich im Internet sekundenschnell austauschen, verabreden kann, verunsichert andere.

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Von DerWesten

Was ist das für eine Macht, die in der Lage ist, die Webseiten große Unternehmen stundenlang lahm zu legen, die der US-Regierung die Stirn bietet? Ist das noch legal oder längst subversiv, womöglich geeignet, be­stehende Strukturen, poli­tische wie wirtschaftliche, zu untergraben?

Auch die Lufthansa in Frankfurt war bereits Online-Demonstrationen ausgesetzt. Im Juni 2001, am Tag einer ihrer Aktionärsversammlungen in Köln, verabredeten die Initiativen „Libertad“ und „Kein Mensch ist illegal“, sich unter der Internet-Adresse www.lufthansa.com zu treffen, um gegen die Betei­ligung des Unternehmens an staatlichen Abschiebungen zu protestieren. Sie meldeten die Demonstration sogar ordentlich bei der Stadt Köln an und blockierten dann die Internet-Seite zwei Stunden lang. Das Oberlandesgericht Frankfurt sprach die Verantwortlichen fünf Jahre später von den Vorwürfen der Nötigung und des Aufrufs zu Straftaten frei. Weder sei Gewalt angewendet worden, noch sei mit einem empfind­lichen Übel gedroht worden.

Von einem „clash of cultures“, von einem Kampf der Kulturen also, spricht der netzpoli­tische Aktivist Markus Beckedahl. Die USA unterschätzten dabei Wikileaks. Die Enthüllungsseite werde zwar nur durch eine Person repräsentiert, jedoch stehe eine große Zahl von Menschen dahinter. „Und jeden Tag werden es mehr. Das ist eine neue Macht, die da entsteht“, sagt Beckedahl. Das so genannte Whistleblowing, das in die Öffentlichkeit-Tragen von Missständen oder illegalem Handeln habe es früher schon gegeben. Man denke nur an den Watergate-Skandal. Doch da hätten sich die Zuträger Journalisten anvertraut, nun stünden die Daten weltweit im Netz.

Ziviler Ungehorsam

Auch Beckedahl, der durch seinen Blog netz­politik.org bekannt wurde, bezeichnet die Attacken auf die Kreditkarten-Unternehmen Visa und Mastercard als ­zivilen Ungehorsam, vergleichbar mit Sitzblockaden. „Mir ist nur noch nicht klar, wohin das führt. Ich fürchte, dass es künftig im Internet mehr Kontrollen geben wird.“

Die deutsche Piratenpartei hat sich derweil entschlossen, Wikileaks zu spiegeln, das heißt, es auf ihren Servern zugänglich zu machen. „So wie es weltweit 700 Server tun“, sagt deren Sprecher Daniel Flachshaar. Einzig die Angriffe auf die Finanzunternehmen heiße man nicht gut. Flachshaar: „Der Bürger denkt: Die bösen Hacker stellen Mastercard ab! Das stellt Wikileaks in ein schlechtes Licht.“