So kannte man Angela Merkel bisher eher nicht: Auf dem CDU-Parteitag gab sich die Kanzlerin angriffslustig, polarisierend. Sie bediente den rechten, konservativ geltenden Flügel der Union - dennoch blieb ihre Inszenierung Augenwischerei.

D ie erste Reaktion auf Angela Merkels Rede beim CDU-Parteitag: Verblüffung. Abkanzeln, ausgrenzen? Kann sie auch. So kannte man die CDU-Vorsitzende nicht: So angriffslustig, so polarisierend, so effekthaschend, so inszeniert, so berechnend. So war ihre Rede. Die Reaktion des Parteitages lässt keinen Zweifel aufkommen: Die Chefin traf den Ton. Der Beifall? Aufmunternd. Die Kritiker? Stumm. Und die Wiederwahl? Reine Formsache. „Muttikulti“ ist nicht zu Ende, nicht mal in Merkels elftem Jahr.

Dankbarkeit für den unverzagten Auftritt

Wäre es so einfach, die CDU hätte sich in Karlsruhe aus dem Umfragetief rausgeklatscht. Die Partei war dankbar für Merkels unverzagten Auftritt, für jede Attacke auf SPD und Grüne, für ihre Konzentration auf die CDU. Über die FDP, ihren Partner, verlor die Kanzlerin kaum ein Wort...

Bei näherem Hinsehen war ihr Auftritt Augenwischerei. Die Grünen hat sie für vogelfrei erklärt. Aber im Saarland und Hamburg regiert die CDU mit ihnen. In der Stadt Berlin ist Schwarz-Grün die realistischste Machtoption. Zweites Beispiel: Merkel hat viel von Werten und vom Christentum geredet, von der Kraft des Glaubens (war ihr nicht zu pathetisch), mit einem Satz: Merkel hat Stimmungen bedient, die man landläufig als rechts, konservativ bezeichnet. Aber dieselbe Merkel umgibt sich in der Parteispitze fast nur mit Politikern, die in der CDU als linksliberal gelten wie Ursula von der Leyen oder Norbert Röttgen.

Konservativ: Das Prädikat gibt ein Zugehörigkeitsgefühl und weniger eine konkrete Richtung wieder. Die Konservativen erkennt man an ihrer Sprache (Heimat, Vaterland) und am Stammpublikum (Vertriebene) wieder. Aber es ist unscharf, wofür sie tatsächlich stehen. Ist das Drängen auf Integration konservativ oder ist es liberal? Ist nun die Wehrpflicht konservativ oder gerade ihre Aussetzung?

Der Parteitag als personelle Zäsur

Der Karlsruher Parteitag markiert eine Zäsur, personell mit von der Leyen und Röttgen, aber auch persönlich für Merkel. Er fällt in eine Zeit der Unsicherheit. Unheil drohend erkennt man die sechs, womöglich sieben, acht Wahlen am Horizont, die sich für 2011 ankündigen. Dann, erst dann wird man sehen, ob sich die CDU die Integrationskraft einer Volkspartei bewahrt hat, ob sich ihre Fließrichtung ändern muss; und ob Merkel alternativlos ist.

Der Parteitag wurde von ihrer Rauflust und von einer stillen Sehnsucht geprägt: Als der Vorhang fiel für den ausscheidenden Roland Koch, wollte der Applaus nicht enden. Der letzte große Konservative ist jetzt ein Mann von gestern, eben.