Berlin. .

Abschließend zu seinem Afghanistan-Tagebuch spricht ein deutscher Soldat in einem Interview über seine Rückkehr aus Kundus, das „Leben nach Afghanistan“ und die Angst, die ihn auch in Deutschland noch begleitet.

Mit welchem Gefühl sind Sie raus aus Afghanistan?

Soldat: Freude. Natürlich Freude, dass ich meine Familie, meine Frau wiedersehe, und dass mir auch erstmal nichts mehr passieren kann.

Sind Sie als anderer Mensch zurückgekommen?

Soldat: Ich selber sage, wirklich verändert habe ich mich nicht, aber irgendwie schon. Das ist was ganz Komisches, meine Gefühle sind anders. Bestimmte Sachen, über die ich mich früher wahnsinnig aufgeregt hätte, sehe ich heute viel gelassener. Aber ich reagiere auf schnappende Geräusche wie eine Tür, die ins Schloss fällt. Oder ich achte auf der Straße auf irgendwelche Auffälligkeiten im Boden, geflickte Stellen, so was macht mich nervös. Oder irgendwas, was plötzlich am Straßenrand auftaucht. Da hätte ich neulich fast einem ins Lenkrad gegriffen, weil ich dachte, da kommt irgendwas, eine Sprengfalle. Ich weiß bewusst, da ist nichts Böses. Aber in meinem Unterbewusstsein sitzt das so tief drin, dass das die Überhand gewinnt.

Die Nervosität bleibt auch im Alltag

Wie hat sich dadurch Ihr Alltag verändert?

Soldat: Ich werde nervös, wenn ich Leute in Gruppen stehen sehe oder wenn ich beim Einkaufen bin. Vor allem wenn da Menschen sind, die wie Afghanen aussehen oder die halt insgesamt einen dunkleren Teint haben, ein arabisches Aussehen. Ich muss die dann ständig beobachten, die ganze Lage checken, die Kontrolle behalten. Dabei bin ich immer angespannt und rechne mit dem Schlimmsten.

Haben Sie auch manchmal Angst, dass Sie eine gewisse menschliche Seite in Afghanistan verloren haben?

Soldat: Sich selber beurteilen ist immer schwer. Aber wenn ich manchmal draußen islamische Mitbürger sehe, glaube ich, würde es mir nicht besonders schwerfallen, denen was anzutun. Früher hätte ich gesagt: Hey, ist doch alles okay, ist doch ein Mensch. Aber heute sehe ich nicht mehr den Menschen da drin. Ich sehe einen Taliban oder einen verkleideten, verkappten Taliban, der nur darauf wartet, loszuschlagen.

Glauben Sie, Sie sind zwar nicht körperlich, aber seelisch verwundet?

Soldat: Möglich, weiß ich nicht. Vielleicht geht das alles wieder weg mit der Zeit. Aber definitiv ist mein Mitgefühl in Afghanistan draufgegangen und meine Unbeschwertheit. Wobei der Verlust der Unbeschwertheit für mich gravierender ist. Nicht mehr einfach so über eine Straße oder in ein Geschäft gehen zu können mit vielen Menschen drin. Oder mal wieder in einen Döner-Laden gehen, wo der Typ, der mir den Döner zubereitet, ein Messer in der Hand hält. Und ich denke sofort, der könnte jetzt mein Feind sein. Das irritiert auf jeden Fall. Das beschwert.

„Die Menschen verändern sich definitiv“

Geht es vielen Ihrer Kameraden so?

Soldat: Viele meiner Kameraden wollen da nicht drüber sprechen, die verdrängen das komplett. Aber auch sie verhalten sich anders. Viele von uns achten jetzt in Deutschland auf normalen Straßen auf alles, was wie ein typisches IED (Sprengfallen) -Versteck in Afghanistan aussieht. Das sitzt dermaßen tief drin, das kriegt man nicht raus. Das ist ein Überlebensreflex, und dann fühlt man wieder die Anspannung, man fühlt sich quasi zurückversetzt, hat das Gefühl, jetzt bin ich dran. Man fährt zum Dienst, hat das nur für Sekundenbruchteile, und es reicht, um die Stimmung für den Rest des Tages runterzuziehen.

Veränderte der Einsatzstress bei den Soldaten Teile der Persönlichkeit?

Soldat: Die Menschen verändern sich definitiv. Meistens sind sie viel stiller, abgeklärter, in sich gekehrter, vielleicht auch kälter. Das fällt besonders auf, wenn es in den Nachrichten wieder Meldungen über Tote gibt, wie etwa bei der Love-Parade in Duisburg, wo Leute gestorben sind. Das hat bei uns Soldaten kaum einen berührt. Wo andere die Hände über dem Kopf zusammen schlagen, hat das uns kaum gekümmert. Na und? Da sind jetzt halt 19, 20, 21, Menschen gestorben. Das passiert in Afghanistan im Stundentakt. Man hat einfach nicht mehr diesen mitfühlenden Bezug.

Halten Sie es für richtig, Soldaten, die mehrere Einsätze hinter sich haben, erneut nach Afghanistan zu schicken?

Soldat: Ich bin der festen Überzeugung, dass durch die ständigen Einsätze inzwischen ein Drittel der Soldaten nicht mehr tauglich ist für Afghanistan. Die haben einen psychischen Knacks. Und wenn jetzt Kameraden erneut runter fahren, kann ich nur hoffen, dass keiner ausrastet.

Was war Ihr Motiv, jetzt mit der Presse zu reden?

Soldat: Kameradschaft. Ich bin heil zurück, aber für meine Kameraden, die dort sind ? Das ist völlig unverantwortlich, was da läuft, was da mit uns gemacht wird. Eigentlich fahren wir da nur raus, werden beschossen, weichen aus und schauen, dass wir mit heilen Knochen zurück ins Lager kommen. Und wenn mal wieder ein Gebiet stärker von uns kontrolliert wird, können wir es nicht auf Dauer halten. Und dafür sterben ständig Kameraden? Es ist einfach kein Sinn da.

Glauben Sie, die Menschen hier in Deutschland haben wirklich begriffen, dass deutsche Soldaten in Afghanistan fast jeden Tag im Gefecht sind, kämpfen, töten und auch getötet werden?

Soldat: Nein. Woher sollen sie es denn wissen? Es kommt manchmal was in den Nachrichten, das ist dann aber kurz, verstümmelt und zusammengeschnitten. Und größer berichtet wird nur über unsere Verluste, nicht über unsere, ich nenne es mal Erfolge, wenn wir Angriffe zurückgeschlagen und den Feind getötet haben, so was kommt ja gar nicht an die Presse, über so was soll ja auch gar nicht groß berichtet werden.

Das Gefühl „blankweg verarscht“ zu werden

Wurde denn in Afghanistan offen über den Einsatz geredet?

Soldat: Nein, ach was. Selbst im Lager Kundus hat man versucht, sicherheitsrelevante Vorfälle, die draußen passiert sind, so klein wie möglich zu halten. Wohl auch, um den Unmut unter den Soldaten nicht zu schüren, wegen der Sinnlosigkeit, die da abläuft und wegen des Fehlverhaltens und der Fehleinschätzungen der oberen Führung, wegen der fehlenden Ausrüstung, weil wir nicht die schweren Waffen kriegen, die wir wollen, nicht die Hubschrauber haben, die wir brauchen und alles.

Kommt auch daher das ungute Gefühl bei Ihnen und vielen anderen Soldaten?

Soldat: Daher kommt das Gefühl, blankweg verarscht zu werden. Viele Kameraden denken darüber nach, aus dem Dienst vorzeitig auszuscheiden, denen reicht es. Es muss einfach allen klar sein, entweder führt man einen Krieg mit allem, was dazu gehört - oder man lässt es ganz bleiben.

Redaktioneller Hinweis: Die Agentur dapd hat in den vergangenen Tagen Auszüge aus einem subjektiven Tagebuch eines gerade aus dem Afghanistan-Einsatz zurückgekehrten deutschen Soldaten veröffentlicht. Unter Zusicherung der Anonymität spricht er offen über seine Einsatzerfahrungen, die keinerlei Anspruch auf Objektivität, Vollständigkeit oder Ausgewogenheit in der Darstellung erheben. Um ihn zu schützen und um seine Karriere nicht zu gefährden, sind Orts- und Zeitangaben sowie Details anonymisiert. Die Nachrichtenagentur dapd hat sich der Identität und Integrität des Soldaten versichert. (dapd)