Berlin. .

In Teil 6 seines Afghanistan-Tagebuchs schreibt ein Bundeswehr-Soldat über die US-Task Force-Leute, die ihm wie ein Killerkommando vorkommen und regelrechte Jagd auf Taliban machen.

Ein Mittwoch im Mai

Heute ist es bewölkt und es hat sogar geregnet. Dadurch ist die Temperatur ein ganzes Stück gefallen und es lässt sich echt aushalten. Die EPA (Einmannpackung, Bundeswehr-Fertiggericht) war heute wieder mal ganz besonders köstlich, dick wird hier wirklich keiner. Lagebericht: ODA (Operational Detachment Alpha, amerikanische Sondereinheiten) sollen ganz in der Nähe mehrere Taliban getötet haben. Das ODA ist eine amerikanische Spezialeinheit, die ich als Killer-Kommando bezeichnen würde. Es ist aber nichts Näheres darüber herauszubekommen, außer, dass das Feuergefecht wohl länger gedauert haben muss. Das kann eigentlich wieder nur bedeuten, dass die ganze Sache etwas dreckig geworden sein muss, sonst hätten wir mehr darüber erfahren. Von den US-Sonderkommandokräften kriegt man nur ganz wenig mit.

Ich habe hier schon ab und zu welche rumlaufen sehen, die sahen zumindest so aus. In so einem halb militärischen Aufzug, so ein Söldner-Style, wie man es auch aus dem Fernsehen kennt: Armeehosen kombiniert mit Polo-Shirt. Und auch aufgrund der Bewaffnung und ihrer Fahrzeuge. Da waren vielleicht auch CIA-Leute drunter. Aber keiner sagt einem, was die genau machen: Es hieß nur so allgemein, die gehen wie die Task Force 3-10 nachts in die Dörfer und führen da capture or kill-Missionen (gefangen nehmen oder töten) durch. Da wird aber ein ganz, ganz großes Deckmäntelchen drüber gehalten. Ich bin dann noch zum Training, etwas Eisen biegen. So langsam zeigt sich auch schon was.

Ein Sonntag im Mai

Ein paar Kameraden haben mit zwei Typen von der Task Force 3-10 gesoffen. Die beiden waren angeblich ehemalige Elite-Soldaten. Die haben echt ein paar harte Storys erzählt. Diese Woche hätten sie schon 50 Taliban abgemurkst. Der eine hat geprahlt, dass er noch nie jemanden getötet hat, der es nicht verdient hätte. Und später am Abend, mit noch ein paar Bier im Schädel, hat er dann erzählt, dass auch Frauen und Kinder die Taliban unterstützen und dass ihm das scheißegal ist, wenn die im Weg stehen. Er hält drauf, verdient hätten es alle. Der andere Typ hat erzählt, dass sie nicht in Afghanistan sind, um zu helfen oder etwas aufzubauen oder so, sondern sie wollen einfach nur kämpfen, weil kämpfen Spaß macht.

Er hat noch gesagt, dass er für ein Sicherheitsunternehmen arbeitet, also ein Söldner ist, und dass sie Jungs wie unsere Kameraden gut gebrauchen könnten. Die haben dann aber dankend abgelehnt. Wir haben dann bei uns auch darüber gesprochen, ob einer von uns sich das vorstellen kann, raus aus der Armee und dann für richtig Kohle zu arbeiten. Ich will das nicht, die meisten anderen auch nicht. Doch ich glaube, der eine oder andere Kamerad könnte sich das durchaus überlegen. Aber diese Task Force Leute sind wirklich ein Killer-Kommando, eine echte Mörderbande, im wahrsten Sinne des Wortes. Die gehen los, um die Taliban umzubringen, da haben die auch keinen Hehl draus gemacht.

Ende Mai

Lagebericht: Die Taliban haben bei Aliabad die Amis mit Handwaffen und RPG´s (Rocket Propelled Grenades, Panzerfäuste) beschossen. Der Hinterhalt ging aber nach hinten los. Die US-Truppen haben nämlich mit aller Gewalt zurückgeschlagen. Die Kämpfe haben richtig lange gedauert und die Amis haben sogar nachgesetzt und die Taliban über drei Kilometer nach Norden gehetzt. Ich habe noch mit meiner Frau telefoniert. Ich vermisse meinen Schatz und kann es kaum erwarten endlich wieder zu ihr zurück zu kommen. Nach dem Telefonat bin ich in den Kraftraum gegangen und mir ging es nach dem Training gleich besser. Dann nur noch duschen und pennen.

Anfang Juni

Lagebericht: Ein amerikanischer Black Hawk Hubschrauber soll in der stockdunklen Nacht beschossen worden sein. Man ist sich jetzt sicher, dass die Taliban Nachtsichtgeräte haben. Schöne Schei? Ein Gutes: Das Abendessen war heute ausnahmsweise mal ausreichend und genießbar: Es gab Pommes, die sogar stellenweise geknuspert haben und Rinderfilet, was in der Mitte sogar noch ein bisschen rosa war. Das Ganze war gekrönt mit einer leckeren Soße.

Mitte Juni

Die Amis standen auf der Route „Banana“ im Feuerkampf. Zwei ihrer Fahrzeuge sollen durch IED (Improvised Explosive Device - Sprengfalle) zerstört worden sein. Dabei wurden zwei Soldaten gleich getötet und drei schwer verletzt. Das hat die Stimmung natürlich sehr runter gezogen. Bei einer Operation, um hochrangige Taliban zu fassen, hat neulich ein Apache Kampfhubschrauber mit seiner 30 mm Maschinenkanone ein Fahrzeug von zwei flüchtenden Taliban zerlegt. Die Kiste hat es richtig zerfetzt, die Insassen wohl auch.

23. Juni

Gestern Nacht wurde ein Dorf von den Amerikanern platt gemacht. Sie haben zwei 500 kg Bomben abgeworfen und mit mehreren Little Birds, das sind kleine Kampfhubschrauber, und zwei AC130, die man auch Fliegende Festung nennt, angegriffen. Die AC 130 ist mit einer Gatling ausgestattet, also so einer Schnellfeuerkanone und dazu noch eine 40 mm Kanone und 105 mm Haubitze. Und damit haben die in das Dorf reingehackt.

Ein paar von uns haben es sogar gesehen. Sie haben sich ein paar Bier mitgenommen und das Schauspiel auf einem Container sitzend beobachtet. Sie haben gesagt, das hatte etwas von Silvester, nur umgekehrt. Das heißt, dass die Bomben von oben nach unten gegangen sind. Kameraden haben gesagt, das war das geilste, was sie je gesehen haben. Und dann wieder der gewohnte Irrsinn: Ein Kamerad hat rumerzählt, was ihm einer der Haubitzen-Jungs erzählt hatte: In Mazar-e Sharif soll ihnen gesagt worden sein, sie würden ja wissen, dass sie nicht in Afghanistan sind um zu schießen. Unglaublich oder? So ein Mist. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber irgendwie kommt es mir verdammt wahrscheinlich vor. Na wenigstens haben die Amis mal so richtig aufgeräumt. Den Rest vom Abend habe ich mit Computerspielen verbracht.

Redaktioneller Hinweis: Auszüge aus einem subjektiven Tagebuch eines gerade aus dem Afghanistan-Einsatz zurückgekehrten deutschen Soldaten. Unter Zusicherung der Anonymität spricht er offen über seine Einsatzerfahrungen, die keinerlei Anspruch auf Objektivität, Vollständigkeit oder Ausgewogenheit in der Darstellung erheben. Um ihn zu schützen und um seine Karriere nicht zu gefährden, sind Orts- und Zeitangaben sowie Details anonymisiert. Die Nachrichtenagentur dapd hat sich der Identität und Integrität des Soldaten versichert. (dapd)